Aktionsform
Texte lesen
Die TN verarbeiten, angeleitet, wissenschaftliche, journalistische (Sachtexte) oder literarische (dichterische) Texte. Diese sind – anders als didaktisch aufbereitete Texte (z.B. Leittext – nicht eigens zum Lernen geschrieben worden. Die dichterischen Texte sind hier als Material, nicht als Gegenstand der Veranstaltung gemeint.
1. Einsatzmöglichkeiten
- (bei Sachtexten) um Informationen, Kenntnisse und Einsichten zu gewinnen
- um etwas beurteilen zu können
- (bei literarischen Texten) um Sachverhalte zu veranschaulichen und Beispiele zu liefern
- zur indirekten, geschützten Auseinandersetzung mit der eigenen Person und Lebensgeschichte
2. So wird’s gemacht
Sachtexte
- Wählen Sie kurze (max. 2 Seiten DIN A4), konkrete und möglichst klassische (thematisch und historisch bedeutsame) Texte oder Textauszüge. Kriterien der Textauswahl: Information, Kommentierung, Provokation zum Thema.
- Kopieren Sie die Texte. Lassen Sie dabei genügend Gestaltungsraum zwischen den Zeilen und neben bzw. unter dem Text.
- Geben Sie den TN evtl. schriftlich nach Bedarf einige oder alle der folgenden Hinweise zur Textlektüre (Einzelarbeit; mind. 20 Min.):
Anleitung für TNHinweise zur Textlektüre: Wie können Sie den Text bearbeiten?
- Lesen Sie zunächst den ganzen Text, um eine Übersicht zu erhalten.
- Erfassen Sie schlagwortartig das Thema und geben Sie dem Text einen Titel.
- Notieren Sie erste eigene Gedanken dazu.
- Lesen Sie den Text bitte abschnittsweise erneut durch. Markieren Sie unverständliche Stellen mit (?), bewegende mit Bestätigung (Ja!) oder Widerspruch (Nein!), thematisch wichtige mit einem Ausrufezeichen (!) oder mit Unterstreichung.
- Gliedern Sie den Text in Sinneinheiten (z.B. durch geschweifte Klammer am Rand) und vergeben Sie evtl. Zwischenüberschriften.
- Fassen Sie wichtige Textpassagen mit eigenen Worten knapp zusammen (Variante: Gestalten Sie die Zusammenhänge in einem Schaubild).
- Wie ist Ihre eigene Meinung oder Erfahrung zum Thema? Welche Fragen bleiben offen für Sie? Welche eigenen Thesen (Behauptungen) haben Sie zum Text?
- Bieten Sie evtl. Verfahren an, mit denen der Text allein oder zu mehreren kreativ weiterverarbeitet werden kann (z.B. einen Brief an den Autor schreiben, ein Plädoyer für oder gegen Textaussagen zusammenstellen, ein Gutachten verfassen, den Text in Umgangssprache übersetzen, für verschiedene Personengruppen umschreiben, als Zeitungsartikel gestalten, eine Collage bzw. eine Wandzeitung herstellen usw.).
- Geben Sie anschließend die Möglichkeit, den Text in Gruppenarbeit oder im Plenum zu besprechen (z.B. abschnittsweise anhand der Markierungen).
Literarische Texte
- Schöpfen Sie aus dem ganzen Spektrum dichterischer Gattungen: aus den drei „Naturformen der Poesie“ (Goethe), d.h. der epischen (Epos, Roman, Novelle, Erzählungen, Geschichten, Märchen, Sagen, Legenden, Anekdoten usw.), der dramatischen (Tragödie, Komödie) und lyrischen Dichtung. Nutzen Sie auch die literarischen Zweckformen: Spruchdichtung (Sentenzen, Aphorismen, Epigramme, Sinnsprüche, Lehrgedichte usw.) und Beispieldichtung (Fabel, Gleichnis, Parabel usw.).
- Lesen Sie den Text vor (s. Erzählen) oder lassen Sie diesen vortragen. (Variante: TN können kurze ausgehängte Texte, z.B. Gedichte, zum Thema auswählen, um persönlich einzusteigen Bildbetrachtung). Die TN lesen in Einzelarbeit den Text nach.
- Fordern Sie die TN auf, in Einzelarbeit, Gruppenarbeit oder im Plenum erste Eindrücke und Empfindungen zu formulieren (z.B. „Wie wirkt der Text? Spricht er mich an? Was gefällt mir?“).
- Lassen Sie das (Haupt-)Thema des Textes feststellen und benennen.
- Geben Sie den TN Hinweise auf mögliche Gesichtspunkte der Interpretation: Aufbau, Sprache, ursprüngliche Adressaten, Umstände und Anlass der Entstehung, Autor/in, persönliche Bedeutung.
- Überlegen Sie sich evtl. Möglichkeiten, wie der Text zusätzlich zur Lektüre erlebt und umgesetzt werden kann: Bild malen, Collage, Rollenspiel (z.B. Interview mit einer Figur), Statuentheater, Tagebuch schreiben, Teilnehmergeschichte (z.B. eine Randfigur erzählt, eine Hauptfigur blickt aus zeitlicher Distanz zurück, die Vorgeschichte oder eine Gegengeschichte, die Geschichte zu anderer Zeit am anderen Ort usw.), Theaterspiel.
- Setzen Sie den Text (immer) wieder in Beziehung zum Gesamtthema der Veranstaltung.
3. Didaktisch-methodische Hinweise
Wir sind und bleiben nicht nur eine Fernseh-, sondern auch eine Lesegesellschaft. Die Mündlichkeit der öffentlichen Medien hat die Schriftlichkeit bisher trotz gegenteiliger Behauptungen nicht zurückgedrängt. Lesen ist erstens aktiver und zweitens individueller als Fernsehen und Radiohören (z.B. persönliches Tempo, Zurückblättern, individuelle Pause zum Nachdenken).
Literarische Texte (z.B. Gedichte, Märchen) wirken durch die Symbolsprache ihrer Bilderwelt (Symbolisieren) oft auf einer tieferen Ebene. Vorschnelle Deutungen, die Sie als SL von außen herantragen, können den individuellen Symbolgehalt für die TN zerstören.
Optimal führt „Texte lesen“ zu einer „klaren, lebendigen und ernsthaften Vergegenwärtigung des Textgehalts“ (Aebli 2006). Es berührt den Leser intellektuell (= klar), emotional (= lebendig) und in seiner Werthaltung (= ernsthaft).
4. Vorteile/Chancen – Nachteile/Probleme
Vorteile/Chancen:
- TN können individuell lernen
- TN können immer wieder nachlesen
- erlaubt, eng am Text zu arbeiten
- schützende Projektionsmöglichkeit für eigene Erfahrungen und Konflikte
Nachteile/Probleme:
- zeitaufwendig
- Textauswahl
- evtl. schwer, ich vom Text zu lösen
- evtl. Skepsis der TN
Literaturhinweise: Aebli 2006; Gilles 1994; Knoll 2007
Dr. Balkes rät: „Rechnen Sie damit, dass einzelne TN Textarbeit mit Schulunterricht verbinden und entsprechend reserviert reagieren. Lassen Sie sich dadurch nicht entmutigen. In der Regel spricht die Arbeit am Text sehr schnell für sich. Nutzen Sie immer wieder literarische Texte. In ihnen ist das wirkliche Leben dramatisch verdichtet und in vielen Facetten entfaltet.“
Autor: Ulrich Papenkort