Sozialform
Einzelarbeit
Die Einzelarbeit könnte als die „vernachlässigte Sozialform“ bezeichnet werden, da sie von vielen Dozenten nie oder nur sehr selten eingesetzt wird. Doch es gibt gute Argumente für diese Sozialform:
- Einzeln, alleine eine Aufgabe zu bewältigen, einen Gedanken zu entwickeln oder ein Problem zu lösen ist eine fundamentale Situation des menschlichen Lebens. Wir können manches mit Partnern oder in Gruppen tun, viele Fragen aber muss jeder letztlich für sich klären. Für viele Entscheidungen muss der Einzelne allein die Verantwortung übernehmen.
- Jeder Mensch hat seine individuelle Lerngeschichte, hat seine individuelle und einmalige Wissens- und Erfahrungsstruktur. Lernen bedeutet, diese Struktur aufgrund neuen Wissens und neuer Erfahrungen neu zu ordnen. Dies ist letztlich ein individueller Prozess, der bei jedem Menschen anders verläuft, darauf weisen aktuelle Ansätze einer konstruktivistischen Didaktik wieder eindringlich hin (vgl. Siebert 2006). Je näher die neuen Erfahrungen dabei im Bereich Persönlichkeit, Emotionalität angesiedelt sind, desto individueller verlaufen die Lernprozesse – und umso mehr braucht der lernende Mensch Zeit, auch einmal für sich alleine zu arbeiten.
- Erwachsenenbildung bietet auch für existenzielle Themen und Fragen Unterstützung und Klärungshilfe, z.B. zum Thema Krankheit und Tod in der Altenbildung. Gerade hier kann es wichtig und hilfreich sein, persönliche Fragen und Probleme mit anderen zu besprechen und sich Wissen gemeinsam anzueignen. Immer wieder aber braucht das Individuum Zeit für sich, Zeit zum Rückzug, zur Alleinarbeit. Diese Zeit kann nicht immer nur zu Hause gegeben sein, sondern oft genug ist es notwendig, diese Arbeitszeit jetzt zu geben, nach oder vor diesem Arbeitsschritt, im geschützten Raum und stützenden Rahmen des Seminars.
Einzelarbeit dient also der Individualisierung des Lernens. Das heißt, die Aufgabe kann an die Bedürfnisse des Lernenden angepasst werden hinsichtlich Schwierigkeit, Aufgabenmenge, Tempo, Interesse, Vorliebe, Motivation, Vorerfahrung, Anwendungsbereich und spezifischer Rahmenbedingungen.
Im günstigen Falle steuert dabei der Lernende selbst die Auswahl bzw. Passung. Einzelarbeit kann also hinführen zu Selbststeuerung, Selbstverantwortung und Selbstkontrolle.
1. Einsatzmöglichkeiten
- um die Arbeit mit einem Partner, in der Gruppe oder im Plenum vorzubereiten und die Grundlagen für solche Arbeitsphasen zu erarbeiten. Wenn einer Gruppenarbeit eine kurze Zeit der Einzelarbeit vorgeschaltet ist, hilft das v.a. jenen TN, die etwas langsamer als andere arbeiten oder sich weniger gut artikulieren können. Eine solchermaßen vorbereitete Gruppenarbeit ist häufig effektiver und erzielt bessere Ergebnisse. Reflexionshilfe z.B. Fragebogen. Impuls: „Bitte überlegen Sie zunächst einmal jeder für sich …“ (Weiteres s. Erarbeiten)
- um die Ergebnisse solcher Lernphasen nachzubereiten und weiterzuführen und die Ergebnisse zu verarbeiten. Mit einer nachgeschalteten Einzelarbeit können Sie beispielsweise den individuellen Transfer anregen. Impulse: „Was bedeuten die Ergebnisse für Sie persönlich?“, „Wie wollen Sie damit weiterarbeiten?“ (Weiteres s. Integrieren)
2. Didaktisch-methodische Hinweise
Ergebnispräsentation
- Arbeit für sich: Überall dort, wo persönlichkeitsrelevant gearbeitet wird, ist es oft genug sinnvoll, die Ergebnisse einer Einzelarbeitsphase nicht mehr im Plenum oder in einer Gruppe zu präsentieren. Denn nicht immer ist es möglich, die Vertrauensbasis zu schaffen, um z.B. über persönliche Schwierigkeiten zu sprechen. Auch beim gemeinsamen Lernen mit Kollegen bedarf der Einzelne oft eines besonderen Schutzes. Hier ist es hilfreich, deutlich zu machen: „Sie arbeiten jetzt nur für sich und behalten auch Ihre Ergebnisse für sich.“ Es ist auch möglich zu trennen: „Bitte unterscheiden Sie selbst: Worüber wollen Sie nachher mit einem Partner sprechen, was wollen Sie eher für sich behalten?“ (Tagebuch schreiben).
Arbeitstechniken und metakognitive Strategien
- Voraussetzung für effektive Einzelarbeit ist die Beherrschung entsprechender Techniken der Alleinarbeit (z.B. Lernkarten, Mind-Mapping, Texte lesen). Insbesondere bei lernungewohnten TN müssen Sie diese Techniken oft erst vorab einführen, die auch für die individuelle Nacharbeit zu Hause, für die Prüfungsvorbereitung usw.) benötigt werden. So eröffnet die betreute, vor- und nachbereitete Alleinarbeit im Kurs die Gelegenheit, Lerntechniken und metakognitive Strategien zu erwerben, zu üben und zu verfestigen (vgl. Kaiser/Kaiser 2006). Wieder einmal ist hier auf die propädeutische Funktion von Lehrmethoden zu verweisen.
Bei der Einzelarbeit ist der Lernende sehr auf sich gestellt. Sie sollten deswegen besonders auf klare, gut strukturierte und verständlich formulierte Arbeitsaufträge/Arbeitshilfen achten (Gruppenarbeit 3: Arbeitsauftrag).
„Hausaufgaben“
- Sofern es die Kursorganisation und die Aufgabenstellung zulässt, können auch Einzelarbeitsphasen nach Hause verlagert werden. Im Seminar kann die Zeit dann dazu genutzt werden, sich über die Erfahrungen mit der Aufgabe auszutauschen, Ergebnisse zu vergleichen usw. Allerdings: Seien Sie sehr vorsichtig in der Art und Weise, Hausaufgaben zu vergeben! Viele Erwachsene fühlen sich sehr schnell an ihre Schulzeit erinnert und reagieren mit Abwehr, Blockaden oder Unwillen darauf. Erläutern Sie deswegen unbedingt Notwendigkeit, Sinn und Zweck der Aufgaben. Räumen Sie Möglichkeiten ein, bei der Gestaltung der Aufgaben mitzusprechen!
3. Vorteile/Chancen – Nachteile/Probleme
Vorteile/Chancen:
Nachteile/Probleme:
- verfestigt möglicherweise Fehler
- keine Möglichkeit des Austausches; deshalb muss diese Sozialform dringend ergänzt werden
Literaturhinweise: Müller 1998
Autoren: Ulrich Müller, Karina Jarzebski