Aktionsform
Geleitete Fantasie
oder: Besinnung, Angeleitete Meditation, Fantasie-Reise
Geleitete Fantasie ist ein so genanntes „projektives Verfahren“. Die gesprochene Anleitung regt mit ihren Szenen zum einen Assoziationen der TN an und bietet zum anderen „Leerstellen“ (Pausen, Fragen). Das wirkt wie eine „Projektionswand“, auf die die TN ihre inneren Bilder (Befindlichkeiten, Erlebnisse) werfen können (z.B. „Lebenswege“).
1. Einsatzmöglichkeiten
- um Erfahrungen zu einem bestimmten Thema lebendig in Erinnerung zu rufen
- um tiefer liegende Wünsche oder Befürchtungen zu einem Thema in Bilder und Worte zu fassen
- um in der Fantasie „träumerisch“ Verhalten in zukünftigen Situationen durchzuspielen
2. So wird’s gemacht
Sie können auf Textsammlungen zurückgreifen (z.B. Vopel 2005) oder auch einen Meditationstext zu Ihrem Thema selbst schreiben. Als Hilfe kann Ihnen die innere Struktur von Fantasiereisen mit folgenden Phasen dienen:
(1) Entspannung, (2) Einleitung, (3) Hinführung, (4) thematischer Hauptteil, (5) Rückführung (s. Beispiel).
Vorbereitung: Lassen Sie die TN bequem Platz nehmen auf Stühlen mit möglichst steiler Lehne („Kutscherhaltung“: Arme locker auf den Oberschenkeln, aufrecht sitzen, Füße auf dem Boden, Beine „schulterbreit“ geöffnet), die Brillen abnehmen und evtl. die Gürtelschnalle lockern, damit der Atem gut fließen kann. Weisen Sie die TN darauf hin, dass sie keine Scheu haben müssen, während der Geleiteten Fantasie ihre Stellung zu verändern.
- Entspannung: Lassen Sie die TN sich auf ihren Atem konzentrieren und sich gedanklich „entleeren“ (z.B. „Denken Sie beim Einatmen nur das Wort ‘Ein‘, beim Ausatmen das Wort ‘Aus‘ “) (3 Min.).
- Einleitung: a) inhaltlich: Sie geben eine Überschau, wohin Sie die Fantasie leiten wollen, b) formal: Unterstützen Sie den freien Flug der Gedanken der TN (z.B. „Erzwingen Sie nichts. Lassen Sie die Gedanken kommen und ziehen wie Wolken am Himmel … Alle Gedanken sind in Ordnung. Bewerten Sie nichts“). Die TN können die Augen offen lassen oder schließen (intensiver).
- Hinführung: Lassen Sie Situationen langsam entstehen (z.B. „ein schöner, warmer Sommertag“). Wenn Sie TN in vergangene oder zukünftige Zeiten führen wollen oder zu bekannten oder fremden Orten, benutzen Sie Brücken für die Fantasie (z.B. „Reise mit einer Zeitmaschine“, langsam “Jahr für Jahr“ Karten abheben lassen von einem Stapel, “Gang, Fahrt oder Flug zum Ort“) (ca. 3 Min.).
- Thematischer Hauptteil: Sie lesen Ihre Anleitung langsam vor (Hinweise zur Konstruktion s. Regeln) (ca. 10 Min.).
- Rückführung: Bitten Sie die TN, das Wichtigste noch einmal gedanklich zu sammeln, ihre Bilder langsam verblassen zu lassen, mit der Aufmerksamkeit in die Gruppe zurückzukehren, die Augen zu öffnen und sich zu räkeln, zu gähnen, zu strecken.
Auswertung: Jeder erzählt nur, was er erzählen will. Sie können als Hilfe Auswertungsfragen auf das
Flipchart schreiben (z.B. „Wie bin ich mit der Geleiteten Fantasie zurechtgekommen? Welche Bilder sind mir begegnet? Was war am wichtigsten für mich? Was hat mich überrascht? Wie fühle ich mich jetzt?“). Eine Auswertung ist nicht unbedingt nötig ja, sie kann sogar störend wirken, wenn Stimmungen, Erlebnisse in der Fantasie „zerredet“ werden.
Beispiel: Anleitung „Eine Wanderung zu meinen Lebensthemen“ (nach Knoll 2007; geordnet nach Phasen)
- „Gönnen Sie sich bitte einige tiefe Atemzüge. Atmen Sie dabei durch die Nase ein und langsam wieder aus … Achten Sie auf die leichte Kühle an den Nasenflügeln … Denken Sie beim Einatmen das Wort ‚Ein!’ und beim Ausatmen das Wort ‚Aus!’ (3. Min.).
- Ich möchte mit Ihnen eine kleine Reise machen, die uns helfen soll, auf wichtige Themen für unsere gemeinsame Arbeit zu kommen. Es ist eine Reise mit Hilfe Ihrer eigenen Fantasie. Ich werde Sie gleich bitten, Ihre Augen zu schließen. Das soll Ihnen helfen, vor Ihrem inneren Auge Ihre eigenen Bilder entstehen zu lassen … Erzwingen Sie nichts. Lassen Sie die Gedanken kommen und ziehen wie Wolken …
- Bitte schließen Sie jetzt die Augen und stellen Sie sich vor, es ist ein schöner, warmer Sommertag … ein Tag, der Ihnen ganz alleine gehört … Sie sind hinausgefahren, um eine kleine Wanderung zu machen … Sie gehen jetzt auf einem kleinen Weg, der durch grüne, blühende Wiesen führt … Sie hören die Vögel und riechen den Duft der Blumen und Gräser … der Weg führt jetzt in einen lichten Buchenwald … und Sie gehen und freuen sich an Ihrem Tag.
- … nach einiger Zeit macht der Weg eine Biegung, und Sie sehen auf einer Waldlichtung ein freundliches, kleines Holzhaus liegen … Sie kommen näher und treten durch die offene Tür in eine Diele … Dort steht eine Holzbank … Sie setzen sich und ruhen sich etwas aus … Jetzt sehen Sie, dass an der gegenüberliegenden Wand ein Bild hängt … es hat mit Fragen, Themen, Problemen zu tun, die Sie seit einiger Zeit beschäftigen … Sie prägen sich das Bild ein und Sie verabschieden sich von ihm … und achten darauf, mit was für einem Gefühl Sie das tun … Plötzlich hören Sie Stimmen … Sie entdecken, dass hinter der Tür, die von der Diele weiterführt, Menschen sein müssen … Sie nähern sich der Tür und schauen vorsichtig durchs Schlüsselloch … Sie sehen eine Gruppe, die im Kreis sitzt und miteinander redet … Sie können hören, was sie reden … es ist ein Thema, das Sie brennend interessiert … Sie hören ein Weilchen zu … jetzt stehen die Leute auf und machen etwas, was Ihnen auch Spaß machen würde … Sie öffnen die Tür, die Leute freuen sich, dass Sie kommen, als hätten sie auf Sie gewartet … und Sie machen einfach mit … Nach einiger Zeit haben sie genug davon und machen sich wieder auf den Weg … doch bevor Sie gehen, schenkt Ihnen noch jemand etwas zum Abschied und zur Erinnerung … Sie betrachten das Geschenk genau … stecken es ein … sagen ‚Leb wohl’ und machen sich auf den Weg zurück durch den Wald … die blühenden Wiesen …
- ... und kommen langsam zurück in diesen Raum … Ihr Geschenk haben Sie mit … Sie öffnen die Augen, räkeln sich und nehmen Kontakt auf.“
3. Didaktisch-methodische Hinweise
Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, aber der Geleiteten Fantasie als Aktionsform. Unser Unbewusstes „denkt“ in Bildern. Die Geleitete Fantasie kann eine ziemlich “mächtige“ Aktionsform sein, weil sie unsere tieferen Erlebnisschichten anspricht („szenisches und atmosphärisches Gedächtnis“) (Näheres s. Rahm u.a. 1999). Achtung: Es ist
unbedingt erforderlich, Meditationen zunächst selbst als TN in Veranstaltungen zu erfahren und die Anleitung kleinerer “Reisen“ auszuprobieren (z.B. bei Vopel 2005, 2006;
Entspannung)!
Regeln für die Anleitung
- Verdunkeln Sie auf keinen Fall den Raum. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass Fantasiereisen im Schummerlicht oder Kerzenschein passieren müssen. Gerade Reisen in die Vergangenheit können regressive Tendenzen auslösen oder verstärken (= Rückfall auf frühere Entwicklungsstufen). Die Gegenwart, das Hier und Jetzt, muss für die TN klar bleiben und darf nicht verschwimmen. Falls tatsächlich einmal TN „wegtauchen“, stellen Sie die Gegenwart her: TN mit Namen anreden, „Schauen Sie mich an … Drücken Sie Ihre Hände“.
- Sprechen Sie langsam und lassen Sie Pausen für die aufsteigenden Fantasien. Eine Hilfe für das Sprechen: Formulieren Sie so langsam, dass es Ihnen „unnatürlich“ vorkommt. Dann ist es richtig.
- Bauen Sie Ihre Anleitung szenisch-logisch auf (Einheit von Ort, Zeit, Handlung). Eine durchgängige innere Logik der Bilder (z.B. „Ich fliege wie ein Vogel“, „Ich wachse wie ein Baum“) ist notwendig. Vermeiden Sie also Brüche, wie schnelle und verwirrende Zeitsprünge, dauernden Ortswechsel oder unlogische Handlungen.
- Die Anleitung sollte szenisch-anschaulich sein. Bieten Sie möglichst viele sinnliche Reize für die Fantasie: riechen, hören, sehen, fühlen, schmecken (z.B. „Sie hören die Vögel und riechen den Duft der Blumen und Gräser“).
- Schaffen Sie immer wieder Raum für die Projektionen durch Fragen, Symbolisieren und eingestreute Leerstellen (z.B. Frage: „Was sehen Sie hinter der Tür?“, Symbole: „Reise, Geschenk“ usw., Leerstellen: „Das Wesen gab Ihnen einen bestimmten Satz “).
- Führen Sie die TN nicht in bedrohliche symbolische Vorstellungen (z.B. unter die Erde, in Höhlen, in dunkle Räume, ins Wasser, in unheimliche Schlösser, über die „Schwelle des Todes“).
- Bieten Sie dem TN vorweg Hilfen, wie er mit unangenehmen Fantasien umgehen kann (z.B. „Schicken Sie das Wesen wieder weg, wenn es Ihnen nicht gefällt“, „Wenn Ihnen unangenehme Erinnerungen begegnen, machen Sie sich klar: Sie sind Vergangenheit!“).
- Geben Sie den TN Schutz bei der Auswertung (z.B. können Sie zunächst die TN Tagebuch schreiben oder ein Bild malen lassen, oder Sie verlegen die Gespräche in kleine Gruppen).
- Deuten Sie nichts in die Erlebnisse hinein. Das ist auch der Leitsatz für die Partnerarbeit oder Gruppenarbeit. Gültig ist die Selbstdeutung der TN. Unterstützen Sie durch Aktives Zuhören.
4. Vorteile/Chancen – Nachteile/Probleme
Vorteile/Chancen:
- bietet „Spiegel“, um Erlebnisse und Fantasien zu sehen
- kann Erlebnisse in bereichernde Bilder fassen
Nachteile/Probleme:
- kann evtl. zu tief führen,
- erfordert vertrauensvollen Rahmen.
Literaturhinweise: Knoll 2007; Rahm/Otte/Bosse/Ruhe-Hollenbach 1999; Reichel 1992; Vopel 2005, 2006
Dr. Balkes rät: „Malen Sie sich die Szene aus nach einem guten Seminar, das Sie geleitet haben. Schließen Sie bitte die Augen.“
Autor: Martin Alsheimer