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Aktives Zuhören
Aktives Zuhören umfasst eine besondere innere Haltung und bestimmte Techniken, um problembezogene Gespräche zu führen (Entscheidungsprobleme, Verhaltensprobleme, emotionale Probleme des TN). Sie als SL sind bereit und interessiert, vom TN etwas über sein Erleben und seinen Standpunkt zu erfahren, d.h., Sie geben dem TN Raum (Unterschied zum Feedback). Die verschiedenen Gesprächstechniken (Gesprächsförderer) können helfen, dass Sie einerseits den TN besser verstehen können und andererseits dieser auch freier in seiner Selbstwahrnehmung wird. Hauptfrage: Wie können Sie dem anderen helfen, seine Lösung zu entdecken?
1. Einsatzmöglichkeiten
- als eine Grundhaltung bei Gesprächen, um ein angenehmes Klima in Seminaren zu schaffen
- um evtl. brisante Konflikte und unterschwellige Kämpfe des TN zu entschärfen, die dem Gefühl entspringen, übergangen zu werden (Störungen)
- um ein vielleicht heikles, persönliches Problem eines TN, das ihn belastet, so weit mit ihm zu klären, dass er wieder mitarbeiten kann
- um immer wieder kurz und schnell im Unterrichtsgeschehen auf „gutes Zuhören“ umzuschalten, „Untertöne“ wahrzunehmen und das gegenseitige Verstehen zu sichern (Gesprächsführung)
- als Basis bei verschiedenen Aktionsformen (Fallbesprechung, Rundgespräch, TZI/Themenzentrierte Interaktion)
- als Hilfe, um erlebnisnahe Aktionsformen auszuwerten (Bild malen, Geleitete Fantasie, Rollenspiel)
2. Regeln:
Richtig zuzuhören bedeutet „hinzuhören“ und nicht einfach nur zu „hören“. Zuhören ist ein aktiver Prozess, dessen geistiger Aufwand mit dem Sprechen gleichgesetzt werden kann. Es erfordert Konzentration und Aufmerksamkeit. Beim Zuhören muss gleichzeitig das Gesagte verstanden, mit altem Wissen abgeglichen, Neues gemerkt und Gegenargumente vorformuliert werden. Aktives Zuhören setzt eine innere Haltung voraus:
Innere Haltung
- Klären Sie für sich Ihre echte aktuelle Bereitschaft. „Bin ich tatsächlich bereit zuzuhören?“ „Mit was bin ich jetzt gerade innerlich beschäftigt?“ „Ist es hier der richtige Ort für mich?“ „Habe ich genügend Zeit?“ Die Techniken werden sonst zur Fassade. Sinnvoller ist es dann, wenn Sie einen anderen Zeitpunkt abwarten oder vereinbaren.
- Verschaffen Sie sich innere Gelassenheit (z.B. durch entkrampfende Affirmationssätze wie „Ich muss hier nichts lösen!“ und ruhiges Atmen). Es erleichtert Ihnen die Einfühlung. Sie können problematische Erzählungen aushalten, ohne mit schnellen Ratschlägen einzugreifen.
- Entwickeln Sie Wertschätzung für den TN (z.B. durch Affirmation: „Ich respektiere den anderen und will ihn nicht verändern“, „Es gibt einen subjektiv berechtigten Sinn für sein Handeln, auch wenn ich es im Moment nicht verstehe“). Der TN muss sich nicht verteidigen.
Aktives Zuhören
- Aktives Zuhören bedeutet, sichtbar zuzuhören. Die Körperhaltung des Zuhörers ist offen und seinem Gegenüber zugewandt. Durch verbale und nonverbale Reaktionen signalisieren Sie Ihrem Gegenüber, dass Sie dem Gesagten mit Interesse folgen.
- Zu den Gesprächstechniken gehören: das Paraphrasieren (Inhalte zusammenfassen), das Verbalisieren (wahrgenommene Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche in Worte fassen) und das Nachfragen (offene oder geschlossene Fragen Fragen).
Gesprächstechniken (Gesprächsförderer)
- Verwenden Sie „Türöffner“ (z.B. kurze Äußerungen, wie „Hmm“, „Aha“, „Ja“). Sie bedeuten nicht notwendigerweise Zustimmung, sondern signalisieren: „Ich höre Ihnen zu.“
- Fragen Sie bei vagen Andeutungen oder pauschalen Urteilen nach und lassen Sie diese konkretisieren (z.B. „Wie meinen Sie das?“, „Können Sie mir ein Beispiel geben für …?“, „Das habe ich gerade nicht verstanden“, „Was meinen Sie da besonders?“).
- Beschreiben Sie, wie Sie das Gesagte verstanden haben (z.B. „Wenn ich Sie richtig verstehe, meinen Sie, dass …?“).
- Stellen Sie offene Fragen (z.B. „Was macht Ihnen da Sorgen?“) (Fragen). Mit offenen Fragen fördern Sie das freie Erzählen. Sie erfahren mehr aus der Gedankenwelt des TN und verhindern, dass der TN sich verhört oder in eine bestimmte Richtung gedrängt fühlt.
- Fassen Sie kurz immer wieder zusammen. Es sichert das Verständnis.
- Halten Sie Pausen aus. Sonst hat der TN keine Zeit, seine Gedanken zu entfalten. Häufig fasst der TN in einer Pause einen wichtigen neuen Gedanken oder fühlt einer Stimmung nach. Wenn es blockierend lange dauert, sprechen Sie die Pause an (z.B. „Wo sind Sie gerade gedanklich?“, „Sie sind gerade irgendwo hängen geblieben …“).
- Achten Sie auf den Blick des TN. (1) direkter Blickkontakt = „Sie-sind-dran-Pause“, (2) entspannter Blick nach schräg oben = „Ich-denke-nach-Pause“, (3) Blick schräg nach unten = „Ich-sinne-einer-Stimmung-nach-Pause“, (4) Blick direkt nach unten = verschämte Pause, (5) Blick in unbestimmte Ferne = „Lass-uns-schweigen-Pause“ (Gesprächsführung).
- Zeigen Sie Achtung und Interesse auch auf nicht sprachlicher Ebene (z.B. immer wieder Blickkontakt, aber nicht schlangenhaft fixierend; zugewandte Körperhaltung, aber nicht bedrängend frontal, sondern mit angenehmem Abstand und gleicher Augenhöhe).
- Sprechen Sie die Gefühlslage an (z.B. „Es klingt, als ob Sie ziemlich verärgert sind …“, „Sie lachen gerade, obwohl Sie sagen, dass Sie sauer waren …“). Befürchtungen, Hoffnungen, Wünsche werden selten direkt formuliert. Sie versuchen, das in Worte zu fassen, was beim anderen vielleicht gefühlsmäßig mitschwingt. Bleiben Sie dabei immer kurz und tastend im Ton und in der Formulierung. Fangen Sie nicht an, ihm komplizierte psychologische Gutachten zu geben oder ihm detektivisch etwas nachweisen zu wollen. Registrieren Sie das nonverbale Verhalten und spiegeln Sie es evtl. wider. Wie sagt jemand etwas? Passt das zusammen mit dem, was er sagt?
- Vermeiden Sie die große Versuchung von Ratschlägen. Wenn Sie dem TN Ratschläge verpassen, verpassen Sie den TN. Häufig sucht ein TN nur vordergründig nach einem Rezept oder direkter Hilfe. Ihre Lösung passt nicht unbedingt für ihn und seine Situation. Oft verteilt man freigiebig Ratschläge, die man sich selbst vergeblich verordnet hat. Ein weiterer Nachteil: Das Gefühl, irgendwohin gedrängt zu werden, schafft Widerstand. Sie übernehmen die Verantwortung für den anderen. Und er wird sich evtl. für diese entmündigende Hilfe unterschwellig rächen, indem er Ihre Vorschläge entwertet, das „Ja-aber-Spiel“ betreibt oder Sie verantwortlich für sein mögliches Scheitern macht (z.B. „Habe ich doch schon alles probiert …“, „Im Prinzip haben Sie recht, aber …“, „Sie haben vielleicht ‘ne Ahnung …“). Ein „Teufelskreis“ mit Ihrer zunehmend genervten Hilfe und der trotzig-bittenden Hilflosigkeit des TN kann sich dann drehen. Wenn Empfehlungen von Ihrer Seite kommen, dann so, dass die Verantwortung deutlich wird (z.B. „Ich bin nicht Sie. Ich würde vielleicht … Was meinen Sie zu dem Vorschlag?“) Verankern Sie Vorschläge gezielt: Suchen Sie nach den Absichten. So können Sie dem anderen zeigen, wie er die gleichen Ziele vielleicht leichter und direkter erreichen kann. Ein Tipp: Lenken Sie evtl. die Rezeptsuche des TN um in einen Denkanstoß (z.B. „Was würden Sie denn einem guten Freund raten, der in Ihrer jetzigen Lage wäre?“).
- Helfen Sie beim Ordnen von Widersprüchen (z.B. „Ich bin gerade etwas irritiert. Vorhin haben Sie … gesagt, jetzt sagen Sie …“, „Einerseits möchten Sie …, andererseits aber fürchten Sie …“). Damit können Sie helfen, dass der TN Unentschiedenheiten klarer erkennt und nun besser abwägen kann, was für ihn schwerer wiegt.
- Wenn der TN generell alles „schwarzmalt“, übertreiben Sie fragend noch zusätzlich (z.B. „Sie sehen da überhaupt keine Chance mehr für sich …“). Der Effekt ist paradox. Der TN wird angeregt, seine Alles-oder-nichts-Haltung zu relativieren (z.B. „Na ja, es gibt da vielleicht noch eine Möglichkeit …“).
- Geben Sie Denkanstöße (z.B. „Was wäre, wenn …?“, „Was könnte schlimmstenfalls geschehen …?“, „Was würde passieren …?“, „Wo sehen Sie Ihren Anteil an der Situation?“, „Welche Möglichkeiten sehen Sie noch?“). Denkanstöße beleuchten das Problem von allen Seiten und lassen den TN evtl. über selbst auferlegte Grenzen blicken, z.B. indem die befürchteten Folgen („Katastrophendenken“) genau geprüft werden oder Fixierungen auf alte und fruchtlose „Patendlösungen“ (Watzlawick) aufgeweicht werden.
- Lassen Sie Wünsche herausarbeiten (z.B. „Wie wäre denn eine optimale Lösung?“ oder manchmal noch effektiver: „Was müssten Sie machen, um Ihre Lage noch schlimmer zu machen?“). Wenn Sie einen Menschen verstehen wollen, kann Ihnen das Denkmodell helfen, hinter jedem Verhalten steckt ein (oft verborgener) Wunsch.
- Helfen Sie dabei, Wünsche zu präzisieren und diese in (positive) Ziele und Handlungsschritte umzuformulieren. Ziele sollen so klar beschrieben sein, dass der TN weiß, was passieren soll (z.B. nicht: „Ich will toleranter werden“, sondern: „Ich will beim nächsten Mal den anderen TN ausreden lassen“).
- Schließen Sie das Gespräch verbindlich. Sagen Sie es, wenn Sie das Gespräch beenden wollen oder innerlich nicht mehr daran teilnehmen können (z.B. „Es tut mir leid, mir geht gerade selbst so viel im Kopf herum“). Fragen Sie evtl. nach (z.B. „Wie war unser Gespräch für Sie?“, „Ist es Ihnen wichtig, noch einmal darüber zu sprechen?“).
3. Didaktisch-methodische Hinweise
Aktives Zuhören ist eine Basishaltung in vielen Therapieformen, die auch im (pädagogischen) Alltag fruchtbar sein kann. Es ist eine Richtung, um Gespräche zu führen („Raum geben“), aber es ist nicht die einzige. Es geht darum, flexibel zu sein. Wenn Sie etwas stört, ist es auch wichtig, dass Sie als Dozent sich „Raum nehmen“, z.B. Ihre Gedanken deutlich machen, konfrontieren, Feedback geben, Kompromisse oder kooperative Lösungen suchen. Um einem weiteren Missverständnis vorzubeugen: Aktives Zuhören bedeutet nicht, dass Sie stundenlange Gespräche führen. Oft genügen gutes Zuhören und wenige Impulse, um eine Situation so weit zu klären, wie es für das Unterrichtsgeschehen notwendig ist.
Der idealtypische Gesprächsverlauf beim aktiven Zuhören ist durch die Reihenfolge der Gesprächstechniken bereits angedeutet:
(1) Kontaktaufnahme („Ich habe Zeit …“),
(2) Problem beschreiben lassen (z.B. „Gefühlslage ansprechen“, „offene Fragen“),
(3) sortieren und gewichten lassen (z.B. „Denkanstöße“, „In-Beziehung-Setzen“),
(4) Wünsche, Ziele, Wege suchen lassen,
(5) Abschluss.
Aktives Zuhören lässt sich natürlich nicht über Ratschläge trainieren. Es erfordert immer wieder Übung. Unser Vorschlag: 1. Schritt: „Pausen aushalten!“, 2. Schritt: Versuchen Sie in der nächsten Zeit, immer wieder mal eine Art von Förderer einzusetzen. Überlegen Sie, wie der Gesprächspartner reagiert hat – und erwarten Sie k(l)eine Wunder.
Literaturhinweise: Egan 2001; Gehm 2006; Rogers/Nosbüsch 2007; Saul 1999; Schulz von Thun 2011; Simon 2004; Thomann/Schulz von Thun 2001; Tschudin 1990; Watzlawick 2007b; Weinberger 2006; Weisbach 2008
Autoren: Martin Alsheimer, Mirjam Soland