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Special

Entspannung

Sehr viele Menschen verbinden Lernen mit Schule und damit mit unangenehmen Gefühlen wie Angst vor Versagen, Blamage und schlechten Noten. Schlechte Erfahrungen mit autoritären Lehrern oder Überforderung durch einseitig kognitives Lernen bilden den Hintergrund für die weitverbreitete angespannt-verkrampfte Haltung. Das geschieht unwillkürlich und größtenteils unbewusst. Angst und Verspannung blockieren jedoch Lernen: Durch die Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin und Noradrenalin werden die höheren Gehirnfunktionen beeinträchtigt (vgl. Vester 2007, Spitzer 2007). Um neue Informationen wirkungsvoll aufnehmen zu können, um zur Veränderung von Einstellungen und Verhalten bereit zu sein, ist eine offene und entspannte, gelassene und neugierige Grundhaltung Voraussetzung. Es ist eine wichtige Aufgabe für Sie als Dozent, in Ihrem Seminar die Entwicklung einer solchen lernfördernden Grundhaltung bei den TN zu ermöglichen!

Didaktisch-methodische Hinweise

Rahmenbedingungen

Bereits die äußeren Bedingungen sind bedeutsam: Zeitdruck wegen zu knapp kalkulierter Anreise oder zu umfangreichen Programms, ungünstige, weil laute oder zu enge Räume usw. können Ihre ganzen Bemühungen zunichtemachen. Gehen Sie unsere Checkliste in der Kap. 7, Organisation durch, damit Sie keine bösen Überraschungen erleben.

Dozentenverhalten: Umgang mit den TN

Durch die Art und Weise, wie Sie mit Ihren TN umgehen, prägen Sie entscheidend das Klima in der Lerngruppe. Ihre Grundhaltung gegenüber den TN spiegelt sich in deren Umgang miteinander und mit sich selbst. Respektvoll, einfühlsam, humorvoll, das sind einige Stichworte zum lernfördernden Dozentenverhalten. Weitere Hinweise dazu finden Sie in der Kap. 9, Lehrende.

Seminargestaltung

Sie nehmen durch den Aufbau Ihres Seminars entscheidend Einfluss auf die Verspannung oder Entspannung Ihrer TN: Lange Phasen einseitig rezeptiven Lernens, in denen wenig Gelegenheit zum Austausch besteht, tragen zur Anspannung bei. Dagegen unterstützen die Abwechslung verschiedener Aktions- und Sozialformen, der Wechsel von aufnehmendem („Einatmen“: zuhören) und verarbeitendem Lernen („Ausatmen“: sich mit anderen austauschen), die Vielfalt an Zugangsweisen zum Thema usw. ein eher entspanntes Lernklima.

Pausen, Bewegung und Musik

Rechtzeitige und ausreichend lange Pausen sind unabdingbar. Lockernde, spielerische Bewegungen können helfen, die Steifheit und Ängstlichkeit im Seminar abzubauen (Bewegung/Tanz). Leichte und spielerische Bewegungsübungen sind der einfachste und schnellste Weg zu einem entspannten Seminarklima! Musik lässt sich einsetzen, um eine angenehme Atmosphäre zu schaffen und um Entspannung zu ermöglichen.
 
Dr. Balkes rät: „Halt, halt, Einspruch! Das klingt ja ganz so, als sollten wir jetzt ganz schlaff und schlapp durch die Seminare schlurfen, immer ganz entspannt, locker und elastisch. Ohne Ecken und Kanten, ohne Auseinandersetzung und ohne auch mal zur Sache gehende Diskussionen (‚Alle sind ganz lieb hier zueinander’!). So macht Entspannung keinen Sinn! Ich meine: Wir müssen im Seminar die rechte Spannung finden. Die liegt irgendwo zwischen ängstlichem Verspanntsein und lustloser Spannungslosigkeit. Also: nicht überfordern, aber fordern. Nicht verspannen, aber im rechten Augenblick für Spannung sorgen. Entspannung ist wichtig, vor einem wohlig-warmen Halbschlaf-Schlabber-Schlaffsein in der Weiterbildung aber graut mir!“
Ist ja gut Herr Doktor, wir sind ganz Ihrer Meinung! Wenn wir von einem „entspannten Lernklima“ sprechen, dann meinen wir den Zustand einer „Wohlspannung“. Spannung und Entspannung müssen in ein Gleichgewicht gebracht werden. Aber weil bei vielen TN die Spannung zur Verspannung wird, gilt es, im Seminar gegenzusteuern.

Wache Aufmerksamkeit

Dem Einwurf von Dr. Balkes folgend, lässt sich sagen: Es kommt darauf an, im Seminar für den Spannungszustand der TN aufmerksam zu sein. Der ist nicht offensichtlich, sondern kann oft nur über Indizien erschlossen werden. Gerade weil es sich um eine meist unbewusste Angst und Anspannung handelt, um einen Zustand, an den man sich in langen Jahren gewöhnt hat, sind die äußeren Anzeichen eher unauffällig.

Sensibilität für eigene Spannung

Es wäre zu kurz gegriffen, Angst und Verspannung nur bei den TN zu suchen. Wie oft gehen wir selbst mit einem guten Maß an Aufregung, Lampenfieber, Anspannung in ein Seminar! Ist nicht die Anfangssituation mit einer neuen Lerngruppe, vielleicht mit einem neuen Thema, in uns unbekannten Räumen oft sehr belastend? Unsere eigene Anspannung kann sich auf die TN übertragen und sich mit deren Unsicherheit aufschaukeln. Ganz wichtig ist es daher, Sensibilität für den eigenen Spannungszustand zu gewinnen, den Umgang mit der eigenen Angst zu lernen. Wie gehe ich mit dieser Angst um? Halte ich mir womöglich meine Angst vom Leibe, indem ich sie den TN einflöße? Ein Verfahren, das in der Schule sehr verbreitet ist! Verstecke ich mich hinter meiner Rolle als „Dozent“? Trete ich die Flucht ins „Dozieren“, Reden, Überreden an? Versuche ich meine Kompetenz durch eine „gelehrte“, hochgestochene und mit Fremdwörtern gespickte Sprache zu beweisen?
Für einen produktiven Umgang mit der eigenen Angst ist es hilfreich, die Anspannung zu akzeptieren. Die Energie, die in der Angst verborgen ist, können wir auch als eine aufbauende Kraft verstehen, die uns hilft, das Beste zu geben.

Entspannungsübungen

Gezielte Entspannungsübungen im Seminar sind ein weiteres Mittel, um zur „Wohlspannung“ beizutragen. Das ist v.a. in längerfristigen, in stark persönlichkeitsorientierten Veranstaltungen oder bei sehr belastenden Themen sinnvoll. Im Rahmen der Suggestopädie werden Entspannungsübungen systematisch und konzeptionell eingebunden verwendet (vgl. Dhority 1993). Wenn Sie mit gezielter Entspannung im Seminar arbeiten wollen, empfehlen wir Ihnen, zunächst selbst ein Entspannungsverfahren zu lernen: autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Yoga, Qigong oder eine andere Methode. Das hilft Ihnen zunächst, den Stress und die Anstrengung Ihrer Lehrtätigkeit, aber auch ganz allgemein Ihr Berufsleben besser zu bewältigen. Sie werden dann zudem erleben, wie Sie durch Ihre eigene Wohlspannung auch auf die TN günstigen Einfluss bekommen. Wir raten Ihnen, erst in einem zweiten Schritt Entspannungsübungen auch im Seminar einzusetzen. Eine entsprechende Ausbildung ist empfehlenswert!

Entspannungsübung: progressive Muskelrelaxation (Kurzform)
Leitgedanke: über Spannung zur Entspannung kommen
(Übung im Sitzen) Bringen Sie zunächst folgende Muskeln und Gliedmaßen in eine leichte Anspannung:
  1. Fäuste ballen,
  2. Arme anwinkeln,
  3. Augenbrauen zusammenziehen,
  4. Schultern Richtung Ohren hochziehen,
  5. Beine ausstrecken und Fußspitzen in Richtung Schienbeine krümmen,
  6. Luft holen und Bauchdecke dehnen.
Spannen Sie nun alle diese Muskeln und Gliedmaßen gleichzeitig für ein paar Sekunden an, ohne zu verkrampfen.
 

 

Literaturhinweise: Dhority 1993; Geißler 2005a; Spitzer 2007; Steiner 2005; Vester 2007
 
Autor: Ulrich Papenkort