Lernphase
Auswerten
„Ende gut, alles gut“, sagt der Volksmund. Die Gestaltpsychologie hat entdeckt, dass wir, um erkennen und handeln zu können, auf „geschlossene Gestalten“ angewiesen sind. Die Qualität des Schlusses ist ebenso wichtig wie die des Anfangs. Dieses „Gesetz“ gilt auch für organisierte Lern- und Lehrsituationen. In der Schlussphase stehen die TN wie auf einer Schwelle. Sie schauen noch einmal auf das zurück, was sie mit den anderen TN gemacht und gelernt haben, und sie blicken nach vorn auf ihren privaten und beruflichen Alltag. Aus dieser Situation ergeben sich die beiden Grundprinzipien des Auswertens: Rückblick und Ausblick. Sie gelten im Grunde selbst für eine reine Vortragsveranstaltung, auch wenn sie dort nicht immer deutlich werden (können).
1. Momente
Die Momente des Auswertens verhalten sich spiegelverkehrt zu den Momenten des Einsteigens. Auch für das Auswerten gilt: Nicht immer ist es notwendig, alle Bausteine und alle gleichermaßen zu beachten. Sie können oder müssen auslassen oder kürzen, unterschiedlich nach Situation und Veranstaltungsform. Blockveranstaltungen (z.B. Wochenende) brauchen (fast) alle, Intervallveranstaltungen (z.B. Kurs) die meisten und Einzelveranstaltungen (z.B. Vortrag) nur wenige Elemente. Die Reihenfolge, in der die Momente im Folgenden angeordnet sind, ist nicht zwingend. Varianten sind möglich.
Rückblick
Ausblick
- Vergegenwärtigung der privaten und/oder beruflichen Situation: Die drei vorgestellten Kritikvarianten selbst hatten schon einen unterschiedlichen Bezug zur Zeit. Die Seminarkritik ist ein deutlicher Rückblick in die Vergangenheit, die Prüfung schon mehr ein Einblick in die Gegenwart und die Selbsteinschätzung fast schon ein Ausblick in die Zukunft. Nun wechselt der Rückblick endgültig in den Ausblick. Ermöglichen Sie es, dass die TN „ihre Körper verlassen“ und in Gedanken schon einmal nach Hause oder zum Arbeitsplatz vorauseilen. Sie können diese mentale Reise mithilfe von musikalisch getragenen Fantasiereisen evtl. konkretisieren und emotionalisieren. Dann aber mit Vorsicht. Fordern Sie die TN auf, sich zu fragen: „Was ist für mich im Alltag vom Erarbeiteten bzw. Gelernten anwendbar und brauchbar? Wird es sich bewähren können?“ Sie brauchen nicht daran zu erinnern, dass sie dort ohne Rückhalt durch Sie selbst und andere TN zurechtkommen müssen und dass der „Spielraum“ zum Ernstfall wird.
Besonders geeignete Aktionsformen: Blitzlicht, Fragebogen, Geleitete Fantasie, Meckerecke, Stimmungsbarometer
- Verabschiedung der TN/Abschied unter den TN: Ihr Schlusswort beschließt offiziell die Veranstaltung. Stellen Sie das Ende der Veranstaltung fest, geben Sie Ihren Freuden und Leiden während der gemeinsamen Zeit Ausdruck, bedanken Sie sich bei den TN für ihr Interesse und ihr Engagement, drücken Sie die Hoffnung aus, dass ihnen die Veranstaltung etwas genutzt hat, und wünschen Sie eine gute Heimreise. Achten Sie darauf, dass das Schlusswort weder zur billigen Floskel bzw. hohlen Konvention noch zur tiefen Betroffenheit bzw. „wahren Natürlichkeit“ entgleist. Mit dem Schlusswort des SL ist aber noch kein aktiver Abschied der TN erfolgt, besonders bei längeren und intensiven Veranstaltungen. Das braucht Zeit. Sorgen Sie also entweder für ein kollektives Schlussritual (Ritual) (gemeinsames Essen, Singen, Tanzen etc.) oder für ein individuelles und spontanes Abschiednehmen („Wir haben jetzt noch eine Viertelstunde Zeit, uns einzeln voneinander zu verabschieden, nach unserem eigenem Bedürfnis, in unserer eigenen Weise, in unserem eigenem Tempo.“).
- Abreise der TN: Selbst wenn es vorher ein individuelles Abschiednehmen gegeben hat, kommen immer noch einige TN gesondert auf Sie zu, um Sie das ein oder andere zu fragen, Ihnen das ein oder andere mitzuteilen. Manche stürzen im ersten freien Moment auf Sie zu, manche drücken sich an der Wand entlang und warten auf ihre Chance. Schenken Sie jeder dieser Personen, die Sie individuell ansprechen, individuell Ihre Aufmerksamkeit. Ihnen steht noch weniger als während der Veranstaltung einer von vielen TN gegenüber, ein Gruppenmitglied, sondern eine Privatperson. Gehen Sie dabei nicht bedingungslos auf Ihr Gegenüber ein, würgen Sie aber auch nicht das Gespräch ab.
- Abreise des SL: Ob es noch im Seminarraum ist, im Bildungshaus oder erst im Auto bzw. in der Bahn: Nutzen Sie die erstbeste Gelegenheit, in der Sie allein sind, um die Veranstaltung und alles, was damit zusammenhängt, zunächst hinter sich zu lassen. Die Verarbeitung wird später vielleicht noch das ein oder andere Gespräch mit nahestehenden Menschen oder Kollegen erfordern, aber Abstandgewinnen ist der erste und ein wichtiger Schritt. Vielleicht legen Sie sich für diese Situation ein individuelles Ritual zurecht, nicht unbedingt das Zigarettenrauchen.
2. Didaktisch-methodische Hinweise
Wir möchten an dieser Stelle noch einmal auf drei Momente des Auswertens näher eingehen: auf die Prüfungen, den Ausblick und den Abschluss einer Veranstaltung bzw. den Abschied.
Prüfungen: Mit Prüfungen in der Erwachsenenbildung betritt man häufig ein “vermintes“ Gebiet. Allzu oft sind Menschen von negativen Erfahrungen mit Prüfungen in der Schule vorbelastet.
Ausblick: Nehmen Sie sich und geben Sie den TN Zeit für den Ausblick. Lassen Sie keine Hektik aufkommen. Verschludern Sie vor allem nicht aus Angst vor der damit verbundenen emotionalen Dynamik den Abschied.
Abschiede: Abschiede sind als „Handlungen, die etwas zu Ende bringen, um dann wieder anfangen zu können“ (Geißler 2005b), von großer Wichtigkeit. Sie helfen, über die Schwelle zu treten. Sie werden in jeder Kultur mehr oder minder ritualisiert und mit Gesten (z.B. Händedruck) und Worten (z.B. „Auf Wiedersehen“) begleitet. Nach längeren und intensiven Veranstaltungen kann die Trennung von anderen TN und vom SL durchaus schmerzhaft sein. Man ist „gut drauf“, tauscht Adressen und verabredet private Treffs, d.h. tut alles, um den Trennungsschmerz zu verdrängen. Stellen Sie sich auf die Abschiedsdynamik von vornherein ein.
Literaturhinweise: Geißler 2005b, 2010b; Grell/Grell 2010; Jagenlauf 1989; Papenkort 2002; Reischmann 2006
Dr. Balkes rät: „Schluss mit dem Abschiedsgesäusel! Was ist mit den Abschiedshassern? Sind das keine ‘wahren Menschen’? Und wo wir schon mal dabei sind: Veranstaltungskritik am Ende einer Veranstaltung ist Nonsens. Erstens sind die TN mit Recht in Gedanken längst woanders, zweitens bleibt sie für die Veranstaltung selbst folgenlos, drittens kann man auf das dort Gesagte wenig geben. Wenn schon Veranstaltungskritik, dann gehen Sie als Dozent offen und ehrlich mit gutem Beispiel voran und schieben Sie nicht den TN den Schwarzen Peter zu. Verzeihen Sie: Ab und zu bin ich etwas barsch.“
Autor: Ulrich Papenkort