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Special

Transfer

oder: Lerntransfer
 
Etwas lernen, das ist die eine Sache. Das Gelernte in der Praxis anzuwenden – und zwar auf Dauer –, das ist die andere. Der Erfolg von Lehr-/Lernveranstaltungen zeigt sich erst, wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wieder in ihrem beruflichen oder privaten Alltag angekommen sind. Hier beginnt der eigentliche Transfer und dieser wird durch viele Faktoren beeinflusst. Für den Transfererfolg von Bildungsmaßnahmen sind in erster Linie die Lernenden selbst verantwortlich. Sie als SL können Ihre TN jedoch wirkungsvoll bei der Anbahnung des Transfers unterstützen. In der betrieblichen Bildung spielen die Personalentwicklung, die Führungskräfte und die Unternehmensleitung eine wesentliche Rolle (vgl. Müller/Nagel/Ihlein 2007). Wir gehen im Folgenden auf Ihre Handlungsmöglichkeiten als SL ein.

1. Einsatzmöglichkeiten

Vor dem Seminar
Während des Seminars
Nach dem Seminar

2. So wird’s gemacht

Lernen ist ein Prozess der aktiven Aneignung von Wissen, Können und Haltung. Doch viele Teilnehmer von (Weiter-)Bildungsveranstaltungen erwarten, dass der SL den aktiven Part übernimmt: „Jetzt wird mir etwas beigebracht.“ Es bedarf manchmal der richtigen Maßnahme, um TN zu dem nötigen Perspektivwechsel zu bewegen: vom passiven Konsumenten zum aktiven Teilnehmer. Im Folgenden gehen wir auf die Möglichkeiten der Transferunterstützung ein, die Ihnen als SL zur Verfügung stehen. Dabei unterscheiden wir: vor, während und nach der Veranstaltung. Für die Planung Ihrer Veranstaltung sollten Sie diese Zeiträume und die möglichen Einflussfaktoren zur Transfersicherung berücksichtigen.

Vor der Veranstaltung

Unter Transfergesichtspunkten ist es wichtig, dass TN bereits vor oder zu Beginn einer Veranstaltung eine genaue Vorstellung davon entwickeln, was sie wissen und lernen wollen: „Was will ich für mich mitnehmen? Was sind meine Fragen? Wo sind meine Probleme in der Praxis?“ So kann das Bewusstsein für die “Brücke vom Lernen in die Praxis“ von Anfang an präsent sein.
Besonders für die Zeit vor der Veranstaltung ist die Sensibilisierung des Auftraggebers im Hinblick auf den Transfer wichtig. Hilfreich für die Auftragsklärung (s. Kap. 2, Planung) ist es, das Thema Nachhaltigkeit bzw. (Lern-)Transfer anzusprechen und auf die Erhöhung des Nutzens von Veranstaltungen bei einer begleiteten Anwendung hinzuweisen. Falls es sich um eine unternehmensinterne Veranstaltung handelt, erkundigen Sie sich, ob und wie das Unternehmen und die Führungskräfte die Teilnahme am Seminar bzw. den Transfer unterstützen, z.B.: Gibt es Instrumente der Personalabteilung die eingesetzt werden, um den Transfer zu unterstützen? Führen die Führungskräfte Unterstützungs- bzw. Transfergespräche mit ihren Mitarbeitern? Die Unterstützung der Führungskräfte gilt als der bedeutendste Faktor für das Gelingen des Transfers. Falls Sie also die Möglichkeit haben, hier Kontakt aufzunehmen, lohnt es sich. Sprechen Sie schon bei der Auftragsklärung (s. Kap. 2, Planung) Aktivitäten und Möglichkeiten im Hinblick auf den Transfer für den Zeitraum vor bzw. nach der Veranstaltung an.
Für vorbereitende Aktivitäten bieten sich einige Möglichkeiten an. Dabei gilt, dass sie organisatorisch machbar und zum Inhalt passend sind. Bedenken Sie bei der Planung, dass der Aufwand nicht zu groß sein sollte. Ihre TN und auch Sie als SL sollten dadurch nicht überfordert oder zu sehr belastet werden. Überlegen Sie was Ihre TN neugierig auf das Thema machen könnte. Wäre zum Beispiel eine erste Wissensvermittlung mit Selbstlernmaterialien (Text lesen), E-Learning, ein Quiz oder Fragebogen zum Thema denkbar? Gibt es einen lustigen Film, Witz oder Ähnliches?

Während der Veranstaltung

Neben Aktionsformen, mit welchen die Teilnehmenden während der Lehr- / Lernveranstaltung Inhalte aktiv selbst bearbeiten, sollten Sie Praxisbezüge, Anregungen und Raum für eine Anwendungsplanung geben. Aktionsformen wie Planspiel, Fallbesprechung, Übung, Rollenspiel und Video drehen haben sich als sehr transferförderlich bewährt. Des Weiteren haben Sie die Möglichkeit, mit Aktionsformen, welche die Reflexion des Gelernten und die Anwendung unterstützen (z.B. Tagebuch schreiben, Back-Home, Brief an mich selbst; siehe auch Integrieren), Anregungen für die Umsetzung zu geben. Planen Sie Zeit für Ihre TN ein, um sich konkrete Ziele für die Anwendung bzw. Umsetzung zu überlegen und diese aufzuschreiben. Achten Sie darauf, dass die Ziele realistisch, erreichbar und zeitlich sinnvoll sind. Weisen Sie Ihre Teilnehmenden auf “die Macht der kleinen Schritte hin“.
Geben Sie Ihren TN Erinnerungshilfen. Diese können im Seminar angefertigt oder ausgegeben werden. Lassen Sie z.B. ein Bild malen zu der Leitfrage: „Wie soll mein Alltag in drei Monaten aussehen? Welche drei Dinge möchte ich als Erstes andern?“. Bitten Sie Ihre TN, das Bild für Sie sichtbar aufzuhängen. Symbole können ebenfalls zur Transfersicherung beitragen. Geben Sie Ihren TN z.B. einen Aufkleber, Button o.Ä. mit, der in Verbindung zu den Inhalten steht. So werden z.B. in Veranstaltungen zum Thema Stress bzw. Work-Life-Balance häufig “Anti-Stress-Bälle“ ausgegeben. Auch Rituale, die Sie in Ihrer Veranstaltung einführen, können den Teilnehmenden helfen, im Alltag die Umsetzung von Erlerntem zu erleichtern. Seien Sie kreativ und überlegen Sie, was zu Ihrem Thema passen könnte.

Nach der Veranstaltung

Kennen Sie das: Das Seminar ist kaum vorbei, und schon haben Sie die ersten Rückfragen zum Seminar in Ihrem E-Mail-Postfach. Die meisten Fragen kommen erst in der Praxis auf, und die TN brauchen an dieser Stelle dringend Unterstützung. Manche melden sich aus eigenem Antrieb bei Ihnen, aber die meisten werden die Fragen verdrängen und weitermachen wie vorher. “Follow-up“-Veranstaltungen, zur nochmaligen Vertiefung oder Besprechung von Problemen, können eine sehr lohnende Investition in Bezug auf die Anwendung des Gelernten in der Praxis sein. Häufig sind diese in dem Budget für die Veranstaltung nicht vorgesehen, deshalb ist es sinnvoll, die zeitliche Planung zu überprüfen. Bei sehr anwendungsbezogenen Inhalten, die eine Übung voraussetzen, kann es sinnvoll sein, einzelne Seminartage zu planen, mit einer Übungszeit zwischen den Veranstaltungen. Die „Follow-up“-Veranstaltungen können auch in einem virtuellen Raum, z.B. in Verbindung mit E-Learning, stattfinden. Hierzu sollten Sie Ihre und die technischen Möglichkeiten Ihrer TN bzw. des Auftraggebers abklären. Weiterführende Informationen dazu finden Sie auch unter Blended Learning in “Didaktisch-methodische Hinweise“ der Infokarte E-Learning.
Neben „Follow-up“-Veranstaltungen ist es auch sinnvoll, die Teilnehmer durch Aktionen die Lehr-/Lernveranstaltung in Erinnerung zu rufen. Der Brief an mich selbst, der einige Wochen nach der Veranstaltung die selbst gesetzten Ziele und Vorsätze in Erinnerung ruft, ist dafür eine häufig angewandte Aktionsform. Oder Sie verschicken neben dem Fotoprotokoll einen Podcast mit einer kleinen Zusammenfassung und Hinweisen für die nächsten Schritte. Fällt Ihnen noch etwas ein um Ihre TN beim Transfer zu unterstützen?
Der Begriff „Transfer“, von lateinisch „transferre“ (hin-)übertragen, bezeichnet die Anwendung des gelernten Wissens oder Verhaltens auf neue oder ähnliche Situationen. Bildhaft gesprochen stellt der Transfer also die Brücke vom Lernen zum Anwenden dar (vgl. Müller/Nagel/Ihlein 2007). Die Anwendung soll dabei möglichst langfristig und nachhaltig erfolgen. Das Ziel von Bildung ist somit erst erreicht mit der erfolgreichen Bewältigung von Handlungssituationen am Arbeitsplatz oder in der privaten Lebenswelt.
In der Forschung zum Lerntransfer werden Transfermanagement und Transfersicherung unterschieden.
Transfer_Modell

3. Didaktisch-methodische Hinweise

Unter Transfermanagement verstehen wir einen umfassenden Prozess der ganzheitlichen und zielgerichteten Gestaltung und Steuerung von Bildungsprozessen. Das Ziel ist hier eine langfristige und nachhaltige Wirkung der Bildungsarbeit und konzentriert sich auf die förderlichen und hemmenden Faktoren des Lerntransfers. Dazu zählen Einflussfaktoren in der Institution (u.a. Zeitplanung, Arbeitsorganisation, Unterstützung durch Führungskräfte und Kollegen etc.), des Lernenden selbst (Motivation, Bedarfe und Bedürfnisse, Lebenssituation s. Kap. 3, Teilnehmende) und der Lehr- /Lernveranstaltung (SL, Inhalte, Didaktik, Methodik, Praxisbezug). Das Transfermanagement zieht sich wie ein roter Faden durch alle Handlungsschritte des Bildungsprozessmanagements (s. Kap. 2). Exkurs: Von der Bildungsbedarfsanalyse über die Programm- und Veranstaltungsplanung bis zur Evaluation sind in praktisch jedem der Prozessschritte die Faktoren des Lerntransfers zu beachten. (für weitere Einzelheiten des Bildungsprozessmanagement-Kreislaufs siehe Iberer/Müller 2007).
Transfersicherung stellt dagegen eine zeitlich begrenzte, methodische Einflussnahme auf den Lerntransfer im Nachfeld einer konkreten Lehr- / Lernveranstaltung dar. Einen Überblick zu den Einflussfaktoren im Kontext der Zeitschiene bietet das integrative Bedingungsmodell des Transfers von Rank/Wakenhut (1996). Ihre Einflussmöglichkeiten als SL beziehen sich auf die Punkte Weiterbildungsseminar und Seminarablauf. Diese können je nach Konzeption des Seminarprogramms in die Zeit nach der Veranstaltung einwirken.
 
 

 

Literaturhinweise: Besser 2004; Lemke 1995; Müller/Iberer 2007; Müller/Nagel/Ihlein 2007; Müller/Soland 2009; Rank/Wakenhut 1996; Solga 2006

 
Dr. Balkes rät: „Ich leite das Thema Transfer häufig mit folgendem Zitat von Konrad Lorenz ein: ‚Gesagt ist nicht gehört, gehört ist nicht verstanden, verstanden ist nicht einverstanden, einverstanden ist nicht durchgeführt, durchgeführt ist nicht beibehalten.’“
 
Autorin: Mirjam Soland