Aktionsform
Reframing
Oder: Umdeuten, neue Sicht eröffnen
Kurzbeschreibung
Ein TN stellt eine für ihn problematische Situation dar. Die Seminargruppe sammelt neue, positive Sichtweisen, die neue Zugänge und Umgangsweisen in Bezug auf die Problemstellung ermöglichen.
1. Einsatzmöglichkeiten
- zur Auseinandersetzung mit originären Themen der Teilnehmer
- um die Gruppe an realen Problemstellungen arbeiten zu lassen
- zur Aktivierung von Ressourcen
- zur besseren Einschätzung von Situationen und als Ausgangspunkt für deren Bearbeitung
2. So wird’s gemacht
- Ein TN schildert im Plenum eine Situation, die für ihn ärgerlich ist oder die für Überforderung und/oder Hilflosigkeit sorgt (diese Person wird nachfolgend als Fallgeber bezeichnet).
- Halten Sie als SL einige zentrale Aussagen und wichtige Kernpunkte der Situationsschilderung am Flipchart fest. (Sammeln Sie nicht zu viele Punkte.)
- Im nächsten Schritt erfolgt die Betrachtung aus einem positiven Blickwinkel. Dabei werden alle TN eingebunden: „Sie haben gerade eine Situation kennengelernt, die als negativ empfinden wird. Doch auch solche Situationen haben positive Seiten. Überlegen Sie bitte: Was könnte an der Situation positiv sein? Sammeln Sie möglichst viele positive Aspekte, Gedanken, Ansätze. Versuchen Sie, jeder für sich, mindestens sieben positive Aspekte zu finden und schreiben Sie diese für sich auf.“
- Nach dieser Einzelarbeit von ca. fünf Minuten sammeln Sie nun die positiven Aspekte am Flipchart (Zurufabfrage): „Auf welche positiven Aspekte sind Sie gekommen?“
- Wenn keine neuen Aspekte mehr genannt werden, geht die Frage an den Fallgeber: „Fühlt sich die Situation nun anders an? Wo sehen Sie die Möglichkeit, die Situation zu beeinflussen?“
- Überreichen Sie das Flipchart mit den gesammelten Aussagen als Geschenk an den Fallgeber.
3. Didaktisch-methodische Hinweise
Wenn TN konkrete Schwierigkeiten oder persönliche Herausforderungen in Seminaren und Trainings einbringen, dann ist dies meistens sehr hilfreich. Allerdings lässt sich beobachten, dass gerade bei eigenen Problemen die Fähigkeit stark eingeschränkt ist, diese aus einer anderen Perspektive zu sehen. Der Blick auf mögliche Lösungen, hilfreiche Ressourcen oder eigene Fehlinterpretationen scheint häufig versperrt zu sein. Gerade in solchen Situationen kann das Reframing helfen, neue Blickweisen zu eröffnen und damit neue Zugänge und Umgangsweisen für das Problem zu ermöglichen.
Der häufige Wunsch der Teilnehmer nach der Berücksichtigung konkreter eigener Problemstellungen ist nur zu gut nachvollziehbar, stellt den SL manchmal aber auch vor große Herausforderungen. Denn der hier oft mitschwingende Wunsch nach einem „Patentrezept“, um die schwierige Situation aufzulösen, lässt sich kaum erfüllen. Anders als z.B. beim Problem-Ursache-Lösung-Schema werden für den Fallgeber hier auch keine konkreten Lösungsvorschläge entwickelt, sondern es wird ein neuer Blickwinkel auf die Situation eröffnet. Dazu wird der Sinn und positive Gehalt von „Schwächen“ und problematischem Verhalten hinterfragt.
Der neu eröffnete Blickwinkel ermöglicht es, die eigene Rolle und den eigenen Umgang mit der schwierigen Situation zu hinterfragen. Auch das Reframing löst keine Probleme, denn aus dem Seminarraum heraus kann man das Verhalten Dritter nicht verändern. Aber die Rückmeldungen aus dem Plenum stellen die häufig verfestigten negativen Gedanken in Frage. Dadurch wird zwar nicht unmittelbar das ursprüngliche Problem gelöst, aber der Blick auf den eigenen Handlungsraum neu geöffnet. In der Folge kann dies zu einem geänderten Umgang mit dem Problem führen.
Die Methode des Reframings wird häufig in der systemischen Beratung eingesetzt und setzt auf eine Reihe von Annahmen und Prämissen voraus:
- Es macht keinen Sinn, menschliches Verhalten unabhängig vom Kontext zu interpretieren, in dem das Verhalten gezeigt wird.
- Menschen interpretieren und bewerten das Verhalten anderer vor dem Hintergrund des eigenen Erfahrungsschatzes und des eigenen Bezugsrahmens. Häufig wirkt ein gezeigtes Verhalten dadurch nicht plausibel. Schon der griechische Philosoph Epiktet wusste: „Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Meinungen von den Dingen“.
- Jedes gezeigte Verhalten hat einen Sinn. Dinge, die an einer Stelle des Systems als Nachteil gesehen werden, können an anderer Stelle als Vorteil verstanden werden.
Weitere Hinweise für die Arbeit mit der Aktionsform Reframing
- Die Grundvoraussetzung für ein funktionierendes Reframing ist eine gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit. Die Methode empfiehlt sich also nur zum Einsatz in Gruppen die sich bereits gut kennen. Da die Themen oft heikel sind, empfiehlt es sich hier ggf. das Vertraulichkeitsgebot erneut zu thematisieren. Machen Sie beispielsweise deutlich, dass die Aufzeichnungen aus dieser Übung (Flipcharts, Karten) nicht in das Fotoprotokoll aufgenommen werden. Geben Sie diese Arbeitsergebnisse dem Fallgeber als Geschenk mit.
- Wichtig ist dabei auch, die Rolle und Funktion der anderen TN richtig einzuordnen: Es geht nicht darum, dem Fallgeber etwas auszureden, sondern darum, möglichst viele alternative Blickwinkel auf die geschilderte Situation zu erhalten. Als SL sollten Sie intervenieren, wenn sich die TN nicht darauf beschränken, ihre mögliche alternative Sicht auf die Dinge einzubringen, sondern „Tipps“ und konkrete Verhaltensvorschläge machen.
- Eine Änderung des Blickwinkels beim Fallgeber sollte nicht durch SL oder die TN erfolgen, sondern ausschließlich durch den Fallgeber selbst. Drängen Sie als SL den Fallgeber nicht dazu, sich „einsichtig“ zu zeigen, also die eigene bisherige Sicht in Frage zu stellen.
- Ein Reframing wirkt bei den Fallgebern häufig noch lange nach. TN, die sich als Fallgeber zur Verfügung gestellt haben, sind danach oft längere Zeit in Gedanken und brauchen Raum für sich.
- Nicht nur der Fallgeber profitiert! Die Reframing-Arbeit mit einer Gruppe löst nicht nur beim Fallgeber neue Gedanken aus. Es mag zwar auf den ersten Blick so wirken, als ob lediglich ein einzelner TN vom Reframing profitiert, tatsächlich aber werden auch die anderen TN die geschilderte Situation vor dem eigenen Bezugsrahmen interpretieren und für sich hilfreiche Schlüsse ziehen.
4. Vorteile / Chancen – Nachteile / Probleme
Vorteile / Chancen:
- Greift direkte Probleme der TN auf
- Ressourcenorientiertes Verfahren, belässt Verantwortung beim TN
- Sorgt für neue Blickwinkel
Nachteile / Probleme:
- Setzt hohes Maß an Vertrauen voraus
- Löst keine Probleme (erleichtert aber den Umgang mit der problematischen Situation und die Bearbeitung)
- Vorrangig spachliche Problembearbeitung
Literatur: Watzlawick, Weakland, Fisch 2013
Autor: Jan-Torsten Kohrs
Dr. Balkes rät: „Ich habe schon oft erlebt, dass ein Reframing meinen Seminarteilnehmern zu einer Neubewertung einer schwierigen Situation verholfen hat. Das ist toll! Schlecht ist es aber, wenn im Rahmen des Reframings lediglich eine oberflächliche „Schönfärberei“ betrieben wird. Ein Reframing bedeutet nicht, dass man Teilnehmern Ängste, Sorgen und Gefühle ausredet!“