Aktionsform
Podiumsdiskussion
Zwei oder mehrere Experten (externe oder TN) diskutieren ein bestimmtes Thema kontrovers miteinander und stellen sich den Fragen und Statements aus dem Publikum.
1. Einsatzmöglichkeiten
- um widerstreitende Positionen zu einem Thema erkennbar zu profilieren (= Differenzierung)
- um brisante aktuelle Themen zu beleuchten (= Aktualität)
- um unterschiedliche Aspekte eines Themas entfalten zu lassen (= Vertiefung)
- um die Diskussion als wichtiges Verfahren der Konfliktbewältigung erlebbar zu machen
- um Fragen und Meinungen von TN mit Expertenwissen zu konfrontieren und umgekehrt
2. So wird’s gemacht
Vorbereitung
- Fassen Sie die Hauptfrage, das wichtigste Problem oder die Kontroversen in einen provozierenden, plakativen Titel (z.B. „Pflegeversicherung – ein Pflegefall der Politik?“, „Gesundheitsreform – eine Gesundschrumpfung oder ein Totsparen?“).
- Laden Sie möglichst frühzeitig die Podiumsgäste ein. Kriterien: (1) konträre Positionen („Zündstoff statt ausgewogener Langeweile“), (2) Ebenbürtigkeit der Gäste (Ausstrahlung, Sachwissen, Ausdrucksfähigkeit, öffentliche Stellung), (3) Spannung: Wenn möglich, suchen Sie neben den „offiziellen“ gegnerischen Positionen auch einen „querschießenden“ unkonventionellen Gast, (4) Übersichtlichkeit: Wählen Sie nicht mehr als fünf Podiumsteilnehmer, sonst kommen die einzelnen Gäste (und auch die anderen TN) kaum zu Wort.
- Sprechen Sie mit den Gästen Zeitplan (z.B. Zeitvorgabe für Eingangsstatement) und Ablauf ab. Es sollte nichts vorgelesen, sondern die Standpunkte frei vertreten werden.
- Strukturieren Sie evtl. das Thema in einzelne Teilaspekte, die in der Diskussion getrennt behandelt werden sollen. Kriterien: Übersichtlichkeit, strittige Detailfragen.
- Lassen Sie die TN vorab Fragen sammeln („Eisbrecher-Fragen“ für den Anfang) und erheben Sie evtl. ein Stimmungsbild zu den strittigen Positionen (Punktabfrage).
- Bauen Sie die Sitzordnung so auf, dass die Gäste und TN sich gut sehen können (z.B. Stühle im Viereck mit den Gästen an der einen Stirnseite). Bei mehr als 50 TN oder schlechter Raumakustik brauchen Sie gut zugängliche Saalmikrofone und Tischmikrofone für die Gäste (vorher ausprobieren!). Wenn die Gäste für die TN schlecht sichtbar werden, erhöhen Sie deren Sitzplatz (= „Podium“).
Durchführung
- Eröffnen Sie die Sitzung, indem Sie die TN und Gäste begrüßen, das Thema anreißen, dessen Wahl begründen, die Gäste knapp vorstellen und den geplanten Ablauf (evtl. Gliederung von Einzelaspekten, Zeit) erläutern. Evtl. führen Sie Redezeitbegrenzung ein (z.B. „Damit möglichst viele zu Wort kommen, bitte ich Sie, Ihre Fragen und Beiträge knapp zu halten. Ich werde mir erlauben zu unterbrechen, wenn ein Beitrag länger als zwei Minuten dauert …“).
- Die Gäste erhalten Gelegenheit, Ihre Position in einem kurzen Statement zu profilieren (max. 2 Min./Person).
- Moderieren Sie einen kurzen „Schlagabtausch“ auf dem Podium.
- Beziehen Sie die TN mit ein. Guter Zeitpunkt: hörbare „Stimmung“ im Publikum (z.B. Murmeln, Seitengespräche, Proteste usw.).
- Wechseln Sie das Gespräch auf dem Podium mit Podium-TN-Runden ab (jeweils ca. 5-10 Min.), evtl. gegliedert nach Fragenkomplexen.
- Schließen Sie die Podiumsdiskussion mit Abschlussstatements der Gäste zu weiterführenden Fragen (z.B. „Wie wird es weitergehen? Was ist Ihre persönliche Prognose für den Ausgang der Entscheidung?“). Fordern Sie Verständnis, wenn der Ausgang der Diskussion (zwangsläufig) offen bleiben musste.
Weiterarbeit
- Geben Sie evtl. Gelegenheit, dass stärker Interessierte im kleinen Kreis noch mit den Gästen anschließend diskutieren können („Stammtisch“ oder „Workshop“).
- Lassen Sie die Diskussion zusammenfassen („Vorher-nachher-Vergleich“): „Was hat sich bestätigt? Was hat sich für mich verändert? Welche Fragen sind offengeblieben?“ Wiederholen Sie die “Meinungsumfrage“, die Sie vor der Podiumsdiskussion durchgeführt haben.
- Bieten Sie evtl. die Möglichkeit, die Diskussion über andere Aktionsformen zu verarbeiten, z.B. Texte schreiben (bspw. einen fiktiven oder realen Presseartikel).
Variante
Sie können das Podium auch aus den Reihen der TN besetzen. Im Unterschied zu Pro und Contra übernehmen hier die TN nicht spielerisch fremde Überzeugungen, sondern sie vertreten ihre eigenen Positionen. Deshalb ist es hier besonders wichtig, auf die Ebenbürtigkeit der Kombattanten zu achten. Es soll niemand blamiert werden. Diese Variante der Podiumsdiskussion kann dann zu einer besonders konzentrierten Form der Diskussion werden.
3. Didaktisch-methodische Hinweise
Die Podiumsdiskussion ist zwar vor allem eine eigene Veranstaltungsform, sie kann aber auch als eine Aktionsform innerhalb eines Seminars oder Lehrgangs eingesetzt werden. Sie ist eine gute Aktionsform, widerstreitende Argumentation und damit ein Stück politischer Kultur lebendig ins Seminar zu holen. Die Diskussion bietet die Chance, Standpunkte zu differenzieren und vielleicht auch Kompromisse abzutasten. Neben der Ablaufmoderation („So wird‘s gemacht …“) müssen Sie als Gesprächsleitung das Gespräch zwischen den Experten und mit dem Publikum in Gang bringen bzw. begrenzen.
Aufgaben der Gesprächsleitung:
- Sie sind Schiedsrichter: Wenn sich die Podiumsgäste polemisch überschlagen, schreiten Sie ein. Sie können entweder inhaltlich mäßigend wirken (z.B. „Wo sehen Sie denn Gemeinsamkeiten zwischen Ihren Positionen? Wo sehen Sie denn Ihre Möglichkeiten für einen guten Kompromiss?“) oder auch die Form anmahnen (z.B. „Ich bitte Sie, sachlich zu bleiben …“).
- Sie sind Anwalt des Publikums: Die große Gefahr ist, dass eine Podiumsdiskussion missverstanden wird als Diskussion auf dem Podium und nicht mit dem Podium. Nehmen Sie Ihre Leitungsaufgabe wahr und stoppen Sie Dauerredner (z.B. „Ich danke Ihnen für Ihren Beitrag. Ich bitte um Ihr Verständnis, dass ich hier unterbreche. Ich möchte gerne noch jemanden aus dem Publikum zu Wort kommen lassen …“). Das ist manchmal nicht einfach. Vielleicht hilft Ihnen der Leitgedanke: „Das Publikum und nicht das Podium soll etwas von der Veranstaltung haben.“ Unterbrechen Sie höflich auch lange „Fachsimpeleien“ zwischen Podiumsgästen und einzelnen TN.
- Sie sind Vermittler zwischen Podium und TN: Um die Diskussion einerseits zu straffen und gleichzeitig möglichst viele zu Wort kommen zu lassen, empfehlen wir, dass Sie hin und wieder die Fragen sammeln, zu Themen bündeln und an das Podium weitergeben.
- Sie sind „Advocatus Diaboli“: Wenn sich die Podiumsgäste in der Diskussion lediglich in Nettigkeiten erschöpfen und mit Höflichkeiten verbeugen, lassen Sie durch Fragen die Standpunkte schärfer herausstellen (z.B. „Wo sehen Sie denn den stärksten Unterschied zu …?“). Wenn sich wenig Widerspruch auf dem Podium selbst regt, konfrontieren Sie die Podiumsteilnehmer auch mit fremden Statements zu deren Positionen z.B. aus Presse und Literatur. Sie müssen dann den „Advocatus Diaboli“ spielen, also jemanden, der stellvertretend in die Rolle des Gegners schlüpft. Das erfordert von Ihnen eine gute inhaltliche Vorbereitung (z.B. pointierte Zitate, mit denen Sie provozieren können).
4. Vorteile/Chancen – Nachteile/Probleme
Vorteile/Chancen:
- holt Expertenwissen und Meinungen persönlich und lebendig in die Veranstaltung
- verringert Scheu vor „Experten“
Nachteile/Probleme:
- Monologisieren und Polemisieren von Gästen und TN
Literaturhinweise: Knoll 2007; Kuhn/Massing 2000
Autor: Martin Alsheimer