Aktionsform
Zukunftswerkstatt
Infobox
Lernziel |
Kopf, Herz |
Konkretisierung |
sprachlich |
Aktivierung |
erarbeitend |
Sozialform |
Gruppenarbeit, Plenum |
Lernphase |
Erarbeiten |
Material / Meiden |
Pinnwandpapier, Flipchartbögen, Blätter, Stifte, Scheren, Klebestifte, Tesakreppband |
Verwandte |
Moderationsmethode, Open Space |
Teilnehmerzahl |
10-30 |
Zeit |
4-8 Std. bis mehrere Tage |
In einer Zukunftswerkstatt werden anstehende Probleme oder problematische Themen von den TN selbstständig und kreativ bearbeitet. Sie wird vom SL nur methodisch, nicht aber inhaltlich angeleitet und folgt einem vorgegebenen Ablauf in Phasen mit ihren jeweiligen Regeln.
1. Einsatzmöglichkeiten
- um schnell in eine Thematik hineinzufinden, in ein Problem einzusteigen
- um teilnehmerzentriert, kritisch und fantasievoll Themen zu durchdringen, die die TN unmittelbar angehen
- als Hilfe bei der Lösung von Problemen einer Gruppe/Organisation
- zur Entwicklung von Projektideen
2. So wird’s gemacht
Übersicht
Eine Zukunftswerkstatt besteht neben einer Nullphase aus einem dialektischen Dreischritt:
- einer Beschwerde- und Kritikphase (These),
- einer fantasie- und Utopiephase (Antithese),
- sowie einer Verwirklichungs- und Praxisphase (Synthese).
Die letzte Phase kann in Bildungsveranstaltungen bei Zeitnot evtl. entfallen. Jede der drei Phasen ist wiederum unterteilt in zwei kleinere Stufen:
- Sammeln bzw. Öffnen und
- Auswählen bzw. Einengen.
Jeder Hauptschritt dauert mindestens eine Stunde, am besten einen halben bis ganzen Tag. In den Kleingruppen wird maximal 20 Minuten gearbeitet, im Plenum wird nicht diskutiert.
Nullphase
- Stellen Sie evtl. die Werkstattmethode, ihr Anliegen und ihre Entstehungsbedingungen vor (s. „Didaktisch-methodische Hinweise“ und „Literaturhinweise“). Nennen Sie Beispiele und Ergebnisse.
- Sprechen Sie den Zeitplan durch und präsentieren Sie (noch einmal) das Thema.
Beschwerde- und Kritikphase (Bestimmung des Ist-Zustands)
- Führen Sie in Sinn und Zweck dieser Phase ein: „Jetzt haben Sie die Chance, sich Luft zu machen, aufgestauten Ärger loszuwerden, Beschwerden stichwortartig auf den Punkt zu bringen. Begründungen sind nicht notwendig, Diskussion ist nicht erlaubt. Werden Sie konkret. Fürchten Sie nicht Ihren Zorn. Er wird uns weiterbringen. Also: Was stört Sie, was missfällt Ihnen?“
- Lassen Sie in Kleingruppen (min. 3, max. 7, optimal 5 TN) Kritikpunkte sammeln und (in Stichworten) auf Flipchartbögen schreiben.
- Die Kleingruppen wandern umher und lernen die Kritiklisten der anderen Kleingruppen kennen. Sie wählen je eine Kritik aus und schreiben sie auf ein DIN-A3-Blatt, zuletzt auch aus der eigenen Liste. Dann stellen sie ihre Kritikpunkte vor und ordnen sie auf dem Boden zu Rubriken (Ähnliches untereinander, Verschiedenes nebeneinander). Sie präzisieren diese mit Beispielen (DIN A4 hochkant). Die TN entscheiden im Plenum, ob alle Rubriken, die mit den meisten Blättern oder eine Bestbepunktete weiterbearbeitet werden.
Fantasie- und Utopiephase (Entwicklung des Wunschhorizonts)
- Erläutern Sie Sinn und Zweck dieser neuen Phase: „Lassen Sie jetzt Ihrer fantasie freien Lauf. Schielen Sie nicht aufs Machbare. Dazu kommen wir später. Entfalten Sie ein Panorama von Wünschen, Träumen, Einfällen, Idealen, Visionen, Utopien. Jeder Gedanke ist erlaubt, auch wenn er abwegig oder verrückt erscheint. Hier zählt nur, was kreativ ist. Nichts wird diskutiert oder kritisiert. Also: Was wünschen Sie sich herbei, was ist Ihre Utopie?“ (Brainstorming).
- Veranlassen Sie eine Kleingruppenbildung nach Interesse. Die Gruppen sollen die Kritik ins Positive wenden und bildlich auf einem Flipchartbogen darstellen, mit einem Titel versehen und an der Wand aufhängen (Ausstellung).
- Lassen Sie die TN durch die Ausstellung schlendern und zu den Bildern auf DIN-A4-Blättern positive Assoziationen und fantasien hängen.
- Jede Kleingruppe wählt jeweils zwei faszinierende Assoziationen bzw. Ideen und schreibt sie auf DIN-A3-Bögen.
Verwirklichungs- und Praxisphase (Klärung des Handlungspotenzals)
- Erklären Sie wiederum zuerst Sinn und Zweck der Phase: „Wir kommen zur dritten und letzten Phase unserer Zukunftswerkstatt. Jetzt gleiten wir vom Himmel wieder auf die Erde, vom Denkbaren zum Machbaren. Was morgen noch nicht realisiert werden kann, wird vielleicht übermorgen Realität. Es braucht einen langen Atem. Aber einiges wird auch schon morgen realisiert werden können. Dazu wollen wir jetzt Mittel und Wege entdecken, wenn nötig erfinden. Also: Wie kann’s gehen?“
- Lassen Sie die TN im Plenum Übersetzungen („Wie kann man das mit anderen Worten ausdrücken?“) und Näherungen („Gibt’s das schon irgendwo in Ansätzen?“) zu den Ideen aus der fantasiephase finden und auf DIN-A4-Blättern hochkant dazu auf den Boden legen.
- Sie bilden Kleingruppen nach Interesse. Diese sollen drei Forderungen in puncto Verwirklichung aufstellen (Flipchartbögen).
- Die Kleingruppen schauen sich untereinander ihre Forderungen an und hinterlassen pro Plakat auf dem Boden oder an der Wand ein Votum für eine einzige Forderung.
- Jede Kleingruppe konkretisiert die bei ihnen gewählte Forderung mit einem Projektumriss (Flipchart): „Was wollen wir wie (bei vielen „Wie“ einen ersten Schritt nennen), wann und wo angehen, wer macht das und wen brauchen wir?“
- Jede Gruppe stellt ihr Projekt vor.
3. Didaktisch-methodische Hinweise
Die Zukunftswerkstatt ist in erster Linie eine eigene, ein- bis fünftägige Veranstaltungsform, kann aber in einer vier- bis sechsstündigen Kurzform als Aktionsform innerhalb anderer Veranstaltungsformen eingesetzt werden. Sie ist gegen Ende der Sechzigerjahre von dem Zukunftsforscher Robert Jungk und Norbert R. Müllert entwickelt worden, um Betroffenen zu helfen, ihre Probleme vor Ort ohne die zuständigen Politiker, Experten und Planer selbst anzugehen. Projekte wie die Ökobank Frankfurt e.G. und das Netzwerk Selbsthilfe (Berlin) gehen auf Zukunftswerkstätten zurück.
Der Moderator einer Zukunftswerkstatt (ab 15 TN besser zwei Moderatoren) ist nur für die Methode verantwortlich, bleibt inhaltlich neutral, macht stets den Prozess transparent, steuert vor allem durch Fragen (
Moderationsmethode). Störungen haben im Gegensatz zur themenzentrierten Interaktion (
TZI/Themenzentrierte Interaktion) keinen Vorrang. Die Zukunftswerkstatt ist eine so komplexe Methode, dass wir zu einer entsprechenden Fortbildung raten. Die Zukunftswerkstatt ähnelt der von Metaplan entwickelten Moderationsmethode in ihrem historischen Hintergrund, ihrem demokratischen Anliegen, der Moderations-, Kooperations- und Visualisierungstechnik. Zusätzlich zu ihr verfügt sie über eine eigene Fantasie- und Utopiephase und wendet gerade dort Kreativitätstechniken an. Ihre Visualisierungstechnik braucht keine Stellwände und Nadeln, und das Makulaturpapier kann einseitig beschrieben oder bedruckt sein. Für ca. 25 Personen benötigt man außer freien Wänden und Böden ausreichend Pinnwandpapier, Flipchartbögen und Blätter, Stifte, Scheren, Klebestifte und Tesakreppband.
4. Vorteile/Chancen – Nachteile/Probleme
Vorteile/Chancen:
- handlungs- und teilnehmerorientiert (demokratisch)
- Befähigung zu Eigenverantwortung und Selbstbestimmung
Nachteile/Probleme:
- keine ursprüngliche Bildungsmethode
- evtl. nur „klägliche“ Projektumrisse, die auch ohne fantasie- und Utopiephase erreichbar gewesen wären
- immer ein gewisser Zeitdruck
Literaturhinweise: Albers/Broux 1999; Burow 1997; Dauscher/Maleh 2006; Jungk/Müllert 1997; Kuhnt/Müllert 2006
Dr. Balkes rät: „Denken Sie daran, dass der Sinn der Zukunftswerkstatt nicht daran besteht, mit Interessierten in Bildungsveranstaltungen Themen zu erörtern, sondern mit Betroffenen vor Ort Probleme zu lösen. Dort hat die Zukunftswerkstatt ihre Stärke, während sie im Kontext von Bildung immer ein wenig verwässert wirkt.“
Autor: Ulrich Papenkort