Aktionsform
Kommunikative Validierung
Kommunikative Validierung ist ein Verfahren zur Prüfungsvorbereitung. In einem frühen Stadium des Lehr- und Lernprozesses werden die Kriterien eingeführt, nach denen später die Prüfungsleistung bewertet wird.
1. Einsatzmöglichkeiten
- in allen Lernarrangements,
- um die Lernenden mit den Beurteilungskriterien vertraut zu machen,
- um ggf. deutlich zu machen: Es gibt ein Lernen für mich selbst und ein Lernen für die Prüfung.,
- um den Lernenden zu ermöglichen, ihren Blick auf das System, auf das sie durch eine Qualifizierung zugehen, zu erweitern,
- um Prüfungsangst zu verringern,
- um den möglichen Bruch zwischen Lernkultur und Prüfung zu vermeiden oder möglichst gering zu halten.
2. So wird`s gemacht:
Eigene Vorbereitung:
- Klären Sie vorab für sich selbst, welche Kriterien Sie in der Prüfung anlegen wollen (oder: welche zum Tragen kommen, wenn Sie nicht selbst Prüfer sind).
- Überprüfen Sie, ob diese Kriterien auch tatsächlich dem Ausbildungsziel, den zu vermittelnden Kompetenzen und den Praxisanforderungen entsprechen.
- Formulieren Sie Kriterien schriftlich aus und sammeln oder entwickeln Sie Beispiele (zunächst noch keine aus den Arbeiten der aktuellen Lerngruppe), in denen die Diskrepanz zwischen der gezeigten Leistung und einem Kriterium sichtbar und überprüfbar wird.
Einführung der Kriterien:
- Beginnen Sie lange vor der Prüfung. Führen Sie zunächst nur ein Kriterium ein (z.B. im Falle einer schriftlichen Leistung: „Zentrale Begriffe werden unter Bezug auf relevante Quellen definiert“).
- Deklarieren Sie das Kriterium klar zu einem Prüfungskriterium: „Daran messe ich Ihre Prüfungsleistung …“
- Zeigen Sie an konkreten Beispielen, wie das Kriterium erfüllt oder nicht erfüllt werden kann. Erläutern Sie auch die Leistungsstufen („Das ist ein Beispiel für eine gute Leistung. Wenn Sie es sehr gut machen möchten, sollte noch Folgendes dazukommen: …“).
- Machen Sie ggf. deutlich, falls die TN zum gegebenen Zeitpunkt noch nicht in der Lage sein können, diese Kriterien zu erfüllen. Sonst könnte schon jetzt ein Gefühl des Nichtgenügens im Zusammenhang mit der Prüfung entstehen.
- Führen Sie so nach und nach alle Kriterien ein.
Das Bewerten üben:
- Ermöglichen Sie es den Lernenden, selbst die Unterschiede zwischen ihrer eigenen Bewertung und der Bewertung, die Sie nun ins Spiel gebracht haben, zu erkennen.
- Geben Sie anhand vieler ähnlicher Beispiele immer wieder die Gelegenheit, einzelne Kriterien immer besser zu erfassen und zu üben.
- Zeigen Sie den Beurteilungen der Lernenden deutlich Ihre Wertschätzung, auch wenn sie von denen der Prüfung abweichen, vor allem, wenn sich in den Prüfungskriterien eine gewisse Fremdheit zur Praxis, welche die Lernenden evtl. kennen, abzeichnet.
- Lassen Sie die Lernenden üben, selbst die Prüfungskriterien anzusetzen. Geben Sie dazu immer wieder Gelegenheit, Arbeitsbeispiele zu beurteilen. Die Kriterien könnten z.B. auf einem Regelblatt stehen und von den TN wie eine Checkliste zur Überprüfung der eigenen Leistung (und ggf. der der anderen) dienen. Auf diese Weise führen Sie die TN zur Selbstkontrolle hin.
3. Didaktisch-methodische Hinweise
Kommunikative Validierung bedeutet, dass sich SL und TN gemeinsam über den Prozess und die Bewertung von Prüfungen verständigen. Dies kann durch einzelne Maßnahmen geschehen, wie wir es oben dargestellt haben. Im Kern aber geht es darum, im Seminar oder Unterricht eine Lernkultur zu entwickeln, in der dieser Verständigungsprozess selbstverständlich erfolgt.
Etablieren Sie auf breiter Ebene in Ihrem Unterricht eine rücksichtsvolle Feedbackkultur. Bieten Sie dazu gezielt Übungen an. Dann stehen die Chancen besser, dass die Lernenden (und auch die Lehrenden) verhärtete Denkstrukturen aufweichen und Kriterien akzeptieren können, die ihnen zunächst fremd erscheinen.
Intransparente Prüfungskriterien stabilisieren die Macht des Prüfenden (und Lehrenden). Denn wo nicht klar ist, was genau geleistet werden muss, können sachfremde Aspekte eine größere Rolle spielen. Das eröffnet Möglichkeiten, Prüfungen als Sanktionen anzusetzen. Indem Sie die Kriterien Ihrer Prüfungen offenlegen und dafür sorgen, dass die TN sie verstehen und selbst zur Bewertung anlegen können, geben Sie Macht aus der Hand, verringern das „Gefälle“ zwischen SL und TN – und öffnen die Tür zum Vertrauen: „Erwachsenenbildung auf Augenhöhe“.
4. Vorteile / Chancen – Nachteile / Probleme
Vorteile & Chancen
- TN gewinnen Sicherheit im Hinblick auf die Prüfung und überwinden ggf. Prüfungsangst
- kann den TN helfen, Prüfungen als Herausforderungen zu verstehen
- kann den TN helfen, ihre eigene Bewertung mit Abstand und konstruktiver Kritik zu betrachten
- Prüfung und Seminar können fließend ineinander übergehen
- TN haben ein Recht, die Kriterien, nach denen ihre Leistung bewertet wird, zu erfahren
- TN erleben, wie der SL ihnen Handwerkszeug mitgeben möchte, damit sie sich in der Prüfung nicht ausgeliefert oder hilflos fühlen; die TN-SL-Beziehung erfährt somit keinen Bruch
Nachteile & Probleme
- evtl. stellt sich heraus, dass das Thema „Prüfung und Prüfungsangst“ mehr Zeit braucht, als eigentlich vorgesehen ist
Literaturhinweise:
Bohl 2009
Dr. Balkes rät:
Wenn Sie auf eine Prüfung vorbereiten müssen, die nicht von Ihnen selbst geplant und durchgeführt wird, lohnt es sich, sehr genau hinzusehen: Sind die offiziell angesetzten Kriterien in bisherigen Prüfungen auch tatsächlich abgeprüft worden, oder haben sich andere Kriterien eingeschlichen? Dann sollten Sie die „blinden Passagiere“ Ihren Lernenden nicht vorenthalten.
Und Vorsicht: Eine konsequente Kommunikative Validierung könnte den Notendurchschnitt Ihres Kurses dramatisch erhöhen ...
Autoren:
Claudia Schlieb, Ulrich Müller