Aktionsform
Lern-Spaziergang
Infobox
Lernziel |
Kopf, Herz |
Konkretisierung
|
sprachlich |
Aktivierung |
erarbeitend |
Sozialform |
Einzelarbeit, Partnerarbeit |
Lernphase |
Erarbeiten, Integrieren |
Material / Medien |
ggf. Wanderplan, Notizzettel |
Verwandte |
Geocaching |
Dauer |
min. 30 bis max. 90 Minuten |
Teilnehmerzahl |
Keine Einschränkung |
engl. Learning Walk
Kurzbeschreibung
Die TN und der SL nutzen einen Spaziergang außerhalb des Seminarraums für gemeinsames Lernen oder individuelles Nachdenken.
1. Einsatzmöglichkeiten
- um eine Aufgabenstellung zu bearbeiten
- um neue Ideen zu generieren
- um Meinungen und Erfahrungen auszutauschen
- um über ein bestimmtes Thema oder eine Frage nachzudenken
- um über Geschehenes zu reflektieren, zu meditieren
- zur Aktivierung der TN nach der Mittagspause
- um eine eingefahrene, erstarrte Lernatmosphäre aufzubrechen
- als Abwechslung bzw. Highlight innerhalb eines mehrtägigen Seminars, als eigene Veranstaltung (z.B. Bildungswanderung)
2. So wird’s gemacht
Im Vorfeld:
- Informieren Sie sich im Vorfeld über Lage und räumliche Umgebung des Seminarorts. Als Strecken für einen Lern-Spaziergang eignen sich Wege auf dem Gelände einer Bildungsstätte (Gartenanlagen, Innenhöfe) und in angrenzenden Parks, Alleen, Wäldern, am Deich usw.
- Überlegen Sie eine passende Form für den Spaziergang: Rundkurs, zu einem Zielpunkt und zurück, Stationenlauf, SL führt den Spaziergang, freier Spaziergang. Machen Sie die Variante v.a. abhängig von der zur Verfügung stehenden Zeit.
- Klären Sie zusammen mit den TN Ziel, Inhalt und Vorgehen.
- Überlegen und sammeln Sie Fragen, Themen, Anliegen der TN. Visualisieren Sie diese auf einem Flipchart.
- Geben Sie den TN einen klaren Auftrag für den Spaziergang mit, z.B.:
- durch gemeinsames Brainstorming Ideen und Antworten auf die Fragen entwickeln
- die gesammelten Themen im Dialog diskutieren
- über ein bedeutsames Anliegen nachdenken
- Inhalte einüben, auswendig lernen (z.B. Vokabeln, Fachbegriffe, Gedichte)
- Texte lesen, sich gegenseitig vorlesen
- Verdeutlichen Sie den offenen Charakter der Methode und betonen Sie die Selbstverantwortung der TN für den Lernprozess.
- Bestimmen Sie die Sozialform: Um sich zu besprechen oder zu diskutieren, eignen sich gemeinsame Spaziergänge zu zweit oder zu dritt. Das Alleinegehen in Stille passt zum Nachdenken, für Reflexionsaufgaben oder als Form der Meditation.
- Bitten Sie die TN, bei Bedarf Schreibmaterialien für Notizen mitzunehmen.
- Last, but not least: Informieren Sie die TN über den spätesten Zeitpunkt für die Rückkehr zum Plenum.
Beim Spaziergang:
- Die ersten Meter dienen zur Orientierung und um in Bewegung zu kommen. Die TN suchen und bestimmen das für sie individuell passende Spaziertempo. Das Lernen erfolgt im wahrsten Sinne des Wortes „en passant”.
- Im Laufen konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf den gemeinsamen Dialog bzw. die Gedankengänge. Wichtige Erkenntnisse, Ideen werden ggf. festgehalten (handschriftlich, Sprachnotiz auf Tablet/Smartphone).
- Lassen Sie die Umwelt auf sich wirken. Beim Betrachten von Dingen entlang des Weges mit dem Blick in die Weite der Landschaft wird der Kopf frei für neue Ideen, es eröffnet ungewohnte Perspektiven, verstärkt oder relativiert Meinungen.
- Der Lern-Spaziergang ist eine aktive Methode zur Entschleunigung der Alltagshektik. Machen Sie beim Gehen spontane Pausen und nutzen Sie Momente der Stille für konzentriertes Überlegen, Nachdenken, Reflektieren.
Nach dem Spaziergang:
Das Lernen beim Spazierengehen lebt vom besonderen Charakter der (relativen) Zweckfreiheit und Offenheit unter freiem Himmel. Eine Vertiefung der Gespräche im Nachgang ist nur dann sinnvoll, wenn dies vorab so kommuniziert wurde und für den weiteren gemeinsamen Lernprozess notwendig ist.
3. Didaktisch-methodische Hinweise
Bereits in der Antike waren Spaziergänge beliebte Lern- und Dialogmethoden bei Philosophen und Politikern. Von Aristoteles wird berichtet, dass er seine Vorlesungen im Spaziergehen mit seinen Studenten hielt. In der Schule der Peripathetiker (Umherschlenderer) wurde grundsätzlich im Gehen nachgedacht. Friedrich Nietzsche vertrat die Ansicht, das menschliche Denken könne den Rhythmus des Gehens annehmen. Beim Spazierengehen leitet die Körperbewegung die Geistesbewegung an, schreibt Thomas Bernhard.
Aus dem Italienischen „spaziare” (sich räumlich ausbreiten, sich ergehen) kommend wird Spaziergehen heute im Alltag mit Entspannung, Erholung oder gedankenvoller Muße verbunden. Dort, wo größere Mengen an Begriffen, Fachwissen, Texten internalisiert werden sollen, erlernen TN diesen Stoff am besten im Gehen (z.B. Schauspieler, Sprachenlerner, Juristen usw.). Wenn Menschen über etwas Bestimmtes sehr konzentriert nachdenken, bewegen Sie sich ganz automatisch und unbewusst im Raum auf und ab. Das Spazierengehen kann sehr gut mit verschiedenen Lernstrategien kombiniert werden, z.B. Lernen mit einer Lernkartei, Loci-Methode (Einprägen über das Erinnern an Wegpunkte).
Beim Lern-Spaziergang im Freien werden oftmals bessere und nachhaltigere Lernergebnisse erzielt als im Seminarraum (Bewegung/Tanz). Durch die körperliche Bewegung wird intensiver geatmet, der Körper und damit auch das Gehirn erhalten mehr Sauerstoff. Neurologen haben nachgewiesen, dass das Gehen die Neubildung von Gehirnzellen im Hippocampus stimuliert. Beim Spazierengehen werden nicht nur die neuen Informationen abgespeichert, sondern auch die Strukturen und Verbindungen zwischen alten und neuen Inhalten gefestigt. Die regelmäßigen Schritte stabilisieren den psychischen Lernprozess und lassen die Inhalte leichter ins Langzeitgedächtnis gelangen.
Eine besondere Form des Lern-Spaziergangs stellt die Wanderung dar. Während der Spaziergänger in erster Linie des bloßen Umherlaufens wegens umherstreift, verfolgt der Wanderer mit dem Laufen ein explizites Ziel. Das Streben nach Höherem, das Überschreiten des Gegebenen, der Aufstieg in neue Welten impliziert hier nochmals andere bzw. weiter gehende Lernziele.
Gewiss erfordert die Aktionsform „Spaziergehen” Zeitressourcen, die in der heutigen Seminar- und Trainingswelt immer weniger bereitgestellt werden. Die Minuten, die in einen Lern-Spaziergang investiert werden, fließen jedoch mittelfristig wieder zurück, wenn mit dem internalisierten Wissen an anderen Stellen dann zügiger im Lernstoff fortgesetzt werden kann.
Tipps zur Umsetzung:
- Als Wegstrecken eignen sich sehr gut ausgeschilderte Laufstrecken („halbe Runde”) und markierte Lehr- bzw. Lernpfade; weniger geeignet sind innerstädtische Reviere (zu große Ablenkung, Gefahren im Verkehr).
- Eine besondere Wirkung beim Lern-Spaziergang können die Weite des Raumes und das Medium „Natur” entfalten. Nutzen Sie diese Potenziale z.B. für vertrauliche Gespräche, nach Streit- oder Konfliktsituationen, wenn sich TN nicht mehr konzentrieren können usw.
- Gestalten Sie den Lern-Spaziergang kurzweilig, indem Sie historische, kulturelle und natürliche Wegmarken mit einbinden (z.B. als Stationen für bestimmte Themen oder Aufgaben), oder einen Teil der Strecke wiederholt laufen.
- Die Sinneseindrücke der Umgebung auf den Dialog und das Nachdenken wirken je nach Spazierrhythmus unterschiedlich: Je zügiger, desto mehr Aufmerksamkeit widmet der Lerner sich selbst bzw. seinem Gesprächspartner. Bei mehr Müßiggang wird der Blick auf Details in der nahen und weiten Umgebung intensiver.
4. Vorteile/Chancen – Nachteile/Probleme
Vorteile/Chancen:
- Freiraum für neue Ideen, zwanglose Diskussion
- stärkt die Vertiefung und Nachhaltigkeit von erlernten Inhalten
- Ambiente und Attraktivität des Umfelds einer Bildungsstätte werden genutzt
Nachteile/Probleme:
- in Abendstunden, bei Dunkelheit oder Schlechtwetter nur noch eingeschränkt möglich
- erfordert hohe Selbstverantwortung und Disziplin bei den TN
Literaturhinweise: http://www.spaziergangswissenschaft.de
Autor: Ulrich Iberer
Dr. Balkes rät: “Denken heißt im Unendlichen spazieren gehen.”( Jean Baptiste Henri Lacordaire, 1802-1861), französischer Kanzelredner).