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Special

Prüfung

Die Prüfung ist ein Erhebungsverfahren, um zu einem bestimmten Zeitpunkt die Kompetenzen, das Wissen, das Können und Vermögen eines Lernenden anhand von erbrachten Leistungen festzustellen und zu bewerten. Prüfungen wollen ermitteln, ob das, was gelernt werden soll, auch tatsächlich gelernt wurde.

Prüfungen gibt es (fast überall) dort, wo offizielle Lernarrangements stattfinden, aber es gibt sie auch „im richtigen Leben“. Dementsprechend tragen sie eine Vielzahl von Bedeutungen mit sich und sind mit widersprüchlichen Gefühlen und Konnotationen belegt.

Für den Lernprozess selbst sind Prüfungen als Lernzielkontrolle sinnvoll, wenn sie transparent bewertet werden und die Lernenden eine individuelle, zuverlässige und konstruktive Rückmeldung erhalten. Gute Prüfungen bieten den Lernenden einen Vergleichsrahmen, innerhalb dessen sie den Stand ihres Wissens und Könnens im Vergleich zu anderen einschätzen können.

Wo Prüfungen den Rahmen der individuellen Lernzielkontrolle verlassen, haben sie gesellschaftliche oder politische Funktionen.  

 1. Einsatzmöglichkeiten

Für den Lernprozess

Gesellschaftlich/politisch

2. Basisinformationen

Zum Begriff

Der Begriff Prüfung geht über den mittelhochdeutschen Ausdruck prouvunge (Verb: prouven) auf das lateinische probare zurück. Prouven sowie probare standen bis zur Etablierung des Schulsystems dafür, etwas auf seine Echtheit und Güte zu untersuchen, als gut zu erkennen, auf Fehler hin zu untersuchen, zu billigen oder zu erproben. Es ging also um Echtheit und Güte, um die Zusprechung eines gewissen Wertes und um den vorläufigen Gebrauch bzw. Einsatz einer Sache bzw. einer Fähigkeit (vgl. Grimm/Grimm 1889, Spalte 2141). Durch die lutherische Bibelübersetzung gewann prüfen im religiösen Kontext noch den Aspekt des Läuterns (vgl. ebd. Spalte 2182). Ein Prüfer wird im Grimmschen Wörterbuch unter Berufung auf Kant als „Kritiker“ (vgl. ebd. Spalte 2185) bezeichnet, der zwischen richtig und falsch oder brauchbar und unbrauchbar unterscheidet.

Mit der staatlichen Institutionalisierung des Schulwesens erobert nun eine zusätzliche Konnotation den Begriff Prüfung: Im schulischen Kontext wird prüfen mit examinare bezeichnet. Examinare bedeutet „heraustreiben“, „ausfragen“ (vgl. ebd. Spalte 1207). Diese Verben weisen auf eine auffallend neue Beziehungsstruktur zwischen Examinant und Examinator hin:

Während im Sinn von probare Prüfer und Prüfling eine friedliche Koexistenz führen können, da der Prüfer auch ein passiver Beobachter sein kann und in die Aktivitäten des Prüflings nicht eingreifen muss, stellt examinare die Aktivität des Examinanten ganz unter den Einfluss des Examinators, der hier eine aktive Rolle einnimmt: Er treibt etwas heraus, fragt aus, man möchte sagen: verhört. Während bei probare zum Vorschein kommen darf, was da ist, und die Unterscheidung anhand dessen fällt, was freiwillig gezeigt wurde, zählt bei examinare am Ende nur das, was heraus getrieben wurde, und eine gewisse Unfreiwilligkeit wird vorausgesetzt. Die bei probare erwähnten Eigenschaften Echtheit und Güte sowie das Läutern verweisen auf Brauchbarkeit, Treue, innere Einstellung, Standhaftigkeit. Examinare hingegen ist nicht an eine fest definierte Leistung oder Qualität gebunden. Was herausgetrieben werden soll, ist funktions- bzw. situationsabhängig und kann jederzeit beliebig definiert werden.

Bedeutung und Ambivalenz in der Erwachsenenbildung

Prüfungen bilden den Abschluss vieler Lernarrangements und sind auch in der Erwachsenenbildung weit verbreitet. Sie kommen überall dort vor, wo Abschlüsse vergeben werden (z.B. beim Nachholen von Schulabschlüssen, der Ausbildung zum Meister, Umschulungen, Ausbildung in neuen Berufen, beim Erwerb von Sprachzertifikaten). Für die Bedienung vieler technischer Geräte schreibt der Gesetzgeber (oder Versicherungen) entsprechende Schulungen vor, die mit Prüfungen enden (z.B. Bedienung von Geräten in der Medizintechnik, Gabelstaplerführerschein, Gebrauch von Motorsägen oder anderen „gefährlichen“ Geräten). Aufnahmen in Berufsverbände verlangen oft einen Zertifizierungsprozess und/oder eine Prüfung. Trotz dieser weiten Verbreitung in der Weiterbildungspraxis scheint jedoch das Thema „Prüfung“ in der didaktischen Diskussion zur Erwachsenenbildung und in der Methoden-Literatur weitgehend ausgeblendet zu werden. Dies mag mit den Widersprüchen zwischen dem Selbstverständnis der Erwachsenenbildung und der spezifischen Situation in Prüfungen zu tun haben:

In der Weiterbildung bemüht man sich, der besonderen Situation der erwachsenen Lernenden gerecht zu werden. Erwachsene verfügen aufgrund des fortgeschrittenen Lebensalters über einen großen Schatz an individueller Lebenserfahrung und an Wissen. Sie stehen in der vollen Verantwortung für ihr Leben. Sie haben Beruf, Familie und müssen sich  vielen Fragen und Problemen ihrer ökonomischen und sozialen Situation stellen.

Die Erwachsenenbildung versucht dies zu berücksichtigen, indem sie sich an didaktischen Prinzipien wie Teilnehmerorientierung, Lebensweltorientierung und Handlungsorientierung ausrichtet (Spielanleitung, S. 129 ff.). Sie versteht das Lernen ihrer TN als einen aktiven und zu wesentlichen Teilen selbstgesteuerten Prozess, der von den Lehrenden nur angestoßen und begleitet, nicht jedoch „gemacht“ werden kann. Die TN setzen sich unter Einbezug ihrer bisherigen Erfahrungen, ihres Vorwissens und ihrer Einstellungen mit dem Lerngegenstand auseinander. Die Lehrenden begegnen ihren TN „auf Augenhöhe“ und verstehen ihre Tätigkeit als Ermöglichen und Unterstützen („Ermöglichungsdidaktik“, vgl. Arnold/Schüßler 2003).

Wenn es zu Prüfungen kommt, erfährt dieses Selbstverständnis einen Bruch. Ziele und Inhalte werden nicht mehr in einem Aushandlungsprozess gemeinsam bestimmt („didaktische Selbstwahl“), sondern der SL als Prüfer oder eine externe Instanz entscheidet, welche Ziele zu erreichen und welche Inhalte zu beherrschen sind. Auf einmal gibt es doch ein Gefälle zwischen SL und TN. Auf einmal geht es nicht mehr nur um einen partiellen Wissensvorsprung des SL – sondern der SL als Prüfer definiert, was richtig und falsch ist. Mit seinen Entscheidungen über Prüfungsleistungen beeinflusst er womöglich auch Lebenschancen und künftige Lebenswege.

Aufgrund der kaum vorhandenen Reflexion von Prüfungen in der Wissenschaft der Erwachsenenbildung und der fehlenden Anleitung in der erwachsenenpädagogischen Ausbildung ist zu befürchten, dass in der Praxis häufig ein Rückgriff auf Prüfungsformen erfolgt, die den Prüfern aus ihrer eigenen Schul- und Studienzeit vertraut sind, die aber wenig erwachsenengerecht sind.

Prüfungen und das „wirkliche Leben“

Eine Prüfung in einem Lernarrangement ist und bleibt eine Sondersituation. Zwar kann eine Prüfung so gestaltet werden, dass sie Berufsanforderungen sehr realitätsnah abbildet, sie stellt dennoch eine eigene Realität dar. Die Prüfung  bleibt eine vorweggenommene oder simulierte Erprobung  und unterscheidet sich immer von der Erprobung durch die reale Lebenswirklichkeit bzw. eine reelle Berufssituation (vgl. Lennartz/Ebbinghaus 2002).

Der Prüfer als Kritiker muss sich deshalb darüber im Klaren sein, dass er zwar die Realität in ihrem Herausforderungscharakter repräsentieren muss. Er muss sich aber genauso auch verdeutlichen, dass eine dargestellte und konstruierte Realität eben auch nur genau das ist: konstruiert. Die unmittelbare Realität ist immer anders.

Die Realität bleibt etwas Unberechenbares – und das Unvorhergesehene ist nicht immer der kleinere Teil: Die Kollegen sind unterstützend oder boykottierend, die Vorbereitungszeiten müssen anderen Gegebenheiten angepasst werden, die Kunden sind sehr speziell … um nur einige zu nennen.

Beachten Sie weiterhin: In der Realität erfahren wir (und unsere TN/Prüflinge) nicht nur Reaktionen auf unsere Person und unser Handeln, sondern auch auf unsere Rolle. Wir werden als Chefärztin anders angesprochen und gefragt denn als Assistenzärztin oder Krankenschwester; als Berufsanfängerin anders denn als „alter Hase“; als Fachkraft anders denn als Praktikant. In der Prüfung sind die Kandidaten in der Rolle der Prüflinge, und aus dieser Rolle heraus stellen sie sich der Prüfung.

3. Lösungsansätze

Die Widersprüche zwischen dem Grundansatz der Erwachsenenbildung und den strukturellen Bedingungen von Prüfungen lassen sich nicht einfach aufheben. Dennoch gibt es Möglichkeiten, Prüfungen im Lernarrangement bewusst zu begegnen und sie somit für die Lernenden weniger belastend und fruchtbarer zu machen.

Prüfung von Anfang an thematisieren

In allen abschlussbezogenen Bildungsmaßnahmen stellen Prüfungen eine Realität dar, die es von Anfang an zu berücksichtigen gilt. SL tendieren manchmal dazu, das Thema Prüfung nicht zu früh zur Sprache zu bringen. Sie befürchten, dass „zu frühe“ Gedanken an die Prüfung das ungehemmte Sicheinlassen auf den Lernstoff bremsen und eine Fremdorientierung, nämlich die an den Kriterien der Prüfung, eintritt. Dennoch plädieren wir dafür, die Realität der Prüfung von Anfang an in das Seminar hereinzuholen, um die Lernenden darauf vorzubereiten.

Prüfungskriterien transparent darstellen

Die Kriterien, die in der Prüfung zur Bewertung der Leistung herangezogen werden, sollen bereits während des Lernprozesses dargestellt und verständlich gemacht werden (Kommunikative Validierung).

Prüfungen üben

Etwas lernen und etwas Gelerntes in einer Prüfung wiedergeben sind zweierlei Kompetenzen. Es hilft den Lernenden, wenn die Prüfung, also das „Zeigen“ des Gelernten, geübt wird. Für schriftliche Prüfungen können Probeklausuren geschrieben werden. Mündliche Prüfungen können als Rollenspiele geübt werden. Viele Prüfungskandidaten können sich ein faires Prüfungsgespräch gar nicht vorstellen und haben daher, angesichts der wohlwollenden Absichten ihrer Prüfer, oft falsche Vorstellungen von der Situation und Atmosphäre, die sie in der Prüfung vorzufinden meinen. Wer seinen Mentor in Prüfungen bereits erlebt hat, und sei es nur im Rollenspiel, kann sich unter geeigneten Umständen besser vorstellen, was dieser meint, wenn er von einer fairen Prüfung spricht.

Gestaltung der äußeren Rahmenbedingungen

Schon der äußere Rahmen zeigt, wie eine Bildungseinrichtung sich gegenüber Prüflingen verhält. Viele Menschen werden durch Prüfungen stark verunsichert, was sich z.B. in Orientierungsschwierigeiten – selbst in vertrauten Gebäuden – niederschlagen kann. Man merkt sich die falsche Raumnummer oder die falsche Zeit…

Mündliche Prüfungen

Einstieg

Frageverhalten und Gesprächsaufbau

Nachfragen und „probare“

Beispiele für Aktionsformen:

Fragebogen, Kommunikative Validierung, Test, Thesendiskussion

 

Literaturhinweise:
Bohl/Thorsten 2009; Elster/Dippl/Zimmer 2003; Schlieb 2007

Autoren:
Claudia Schlieb, Ulrich Müller