Neulich an der Kasse im Drogeriemarkt. Die Kassiererin bedient eine Kundin, zwischen ihr und mir wartet eine weitere junge Frau. Obgleich absehbar ist, dass sie in wenigen Sekunden als nächste bedient wird, ist sie noch voll in ihr Smartphone vertieft und lässt ihre Finger über die virtuelle Tastatur flitzen. Das große Display lädt unweigerlich mich und weitere Kunden zum Mitlesen beim Chatten mit ihrer Freundin ein. Erst als die Kassiererin auch sie zum Zahlen auffordert, kehrt ihre Aufmerksamkeit zurück. – Noch am gleichen Tag, wenige Stunden später im Seminarraum. Die Gruppenarbeit nähert sich dem Ende, ein Team hat gut und schnell gearbeitet und kann sich über eine kleine, zusätzliche Pause freuen. Erneut auch hier: Der sofortige Griff der Teilnehmer zum Smartphone, Einschalten, schnelles Scrollen, emsiges Tippen, kaum Gespräche untereinander, beinahe Stille am Tisch.
Vom Privaten bis ins Berufliche – die modernen, mobilen Kommunikationsmedien haben nicht nur alle Bereiche unseres Lebens erobert, nein, vielmehr, sie haben Aufmerksamkeiten und Wahrnehmungen verändert. Viele Trainer und Dozenten beobachten dieses Verhalten mit großem Unbehagen. Im Smalltalk unter Kolleginnen und Kollegen erfahre ich immer mehr von Seminarsituationenen, in denen die Teilnehmer derart ausschließlich auf ihr mobiles Kommunikationsgerät fokussiert sind, dass sie dem Seminargeschehen unübersehbar nicht mehr folgen konnten. Manche Dozenten reagieren mit formalen Konsequenzen (“Rausschmiss”), andere entwickeln daraus gar kreative Seminarspiele (“Wer mit dem Handy spielt, bäckt für alle einen Kuchen”). Das Phänomen an sich ist beileibe nicht neu, auch in früheren Zeiten hat der eine und andere Teilnehmer bestimmte Seminarphasen mit weniger Aufmerksamkeit verfolgt und ist in zeitweise parallele Andersbeschäftigung abgedriftet (Sudoku, Stricken). Gewiss, bestimmte Seminarsettings laden mitunter zum mentalen Ausflug ein, vor allem Reihenbestuhlung und tiefe Tische, bei Frontalunterricht mit inhaltsreichen Präsentationen. Doch auch in Stuhlkreis-Diskussionen erlebe ich mehr und mehr, dass Teilnehmende ihr Smartphone auf dem Schoß oder zumindest in der unmittelbaren Griffnähe und Stand-By platzieren, um jederzeit startbereit zu sein.
Das ständige “Daddeln” (vgl. DUDEN, Wiktionary) an Smartphone und Tablet während des Unterrichts hat heute eine neue, andere Qualität erreicht, die mich als Dozent spürbar verunsichert: Präsentiere ich zu unverständlich? Ist mein Lehrstil nicht attraktiv? Verleitet das didaktische Setting zum Abschweifen? Für alle Beteiligten, sowohl bei mir Dozent als auch bei den Teilnehmenden, ist ein Seminar mit hohen Aufwendungen und Vorbereitungen verbunden, jeder investiert viel Zeit zum Kommen und Dabeisein – und gerade dann ist es doch hochgradig irrational, wenn Teilnehmer sich mehrfach aus der Konzentration im gemeinsamen Lehr- und Lernprozess vom Smartphone ablenken lassen. Soll ich es dabei belassen (was meinem Verständnis der Eigenverantwortung des Lernens entspricht) oder aktiv dagegen angehen (was meinem Verständnis der Verantwortung des Dozenten um den gemeinsamen Lernprozess entspricht)?
Beim Erfahrungsaustausch berichtete mir kürzlich eine Trainer-Kollegin, dass sie inzwischen noch mehr methodische Abwechslung und Teilnehmeraktivierung in ihren Seminarplanungen integriert, um aktiv entgegenzuwirken, in der Hoffnung damit die Aufmerksamkeit wieder zurückzuerlangen. Ich bin skeptisch, ob auch ich diesem Hase-Igel-Spiel folgen soll. Schließlich möchte ich durch konstante, inhaltliche Arbeit überzeugen und nicht als Showmaster, der für Unterhaltung sorgt und in der nächsten Sitzung mit erneut anderen Methoden überrascht.
Ich würde es mir aber zu einfach machen mit einem solchen kulturpessimistischen Seufzer zu resignieren. Es ist sicher nicht das Gerät “Smartphone” an sich, welches ablenkt. Im letzten Update der methoden-kartothek.de hatten wir mehrere Methoden zum Stichwort “Mobile Learning” verfasst, um zu zeigen wo innovative didaktische Potenziale für Lehr-Lernprozesse liegen. Immer dann, wenn Fachfragen im Seminar nicht beantwortet werden können, lade ich die Teilnehmer ausdrücklich dazu ein, mit ihrem “mobilen Alleskönner” unmittelbar in die Recherche zu gehen. Und auch ich selbst habe inzwischen mein Tablet im Seminar stets griffbereit, sei es um in der Lernplattform nachzuschlagen, einen Fachbegriff in eine andere Sprache zu übersetzen oder um damit ein Arbeitsergebnis zu fotografieren.
Wenn ich dann die Teilnehmer darum bitte, ihre Geräte auszuschalten bzw. wegzupacken, folgen sie in aller Regel meinen Worten. Solche Aufforderungen erlebe ich in vielen Fällen als eine ausgesprochen heikle Angelegenheit. Vor allem erwachsene Seminarteilnehmer deuten diese schnell als unpassende Erziehungsmaßnahme. Wie herausfordernd und anspruchsvoll das sein kann, hatte ich zuletzt bei mehreren Seminaren mit Teilnehmenden aus dem vorderasiatischen Kulturkreis zu spüren bekommen: Für sie war es gesellschaftlich akzeptierte Normalität, das Smartphone nicht nur still zu gebrauchen, sondern während des Seminars damit auch zu telefonieren, ohne den Seminarraum zu verlassen.
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