Anders konferieren mit Aquarium (“fish-bowl”)

Vortrag, Fragen, Vortrag, Fragen, Vortrag, Fragen – so oder ähnlich erleben wir meistens Konferenzen und Fachtagungen. Aus diesem Schema einmal auszubrechen hatte sich die Deutsche Gesellschaft für Wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudium e.V. (DGWF) für ihre Jahrestagung 2013 in Rostock vorgenommen (25.-27.09.). Mit der Aktionsform “Aquarium” (engl. “fish-bowl”) als leitendes Prinzip für alle Programmteile sollten die Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer in deutlich höherem Umfang in interaktiven Austausch gebracht werden: mehr Gesprächsteilnehmer, unterschiedlichere Meinungen, vielfältigere Perspektiven, breiteres Wissen. Die Ambitionen waren hoch – doch was hat’s gebracht? Eignen sich solche Seminarmethoden auch für größere Teilnehmerzahlen und in offeneren Veranstaltungen?

An sich sind Fachkonferenzen ja ein großartiges Format um Neues zu lernen: Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die allesamt Experten ihres Faches sind, treffen aufeinander und erfahren voneinander die aktuellsten Trends, Entwicklungen, Diskussionen. Doch irgendwie scheint die geballte Kompetenz sich gegenseitig zu lähmen, der substanzielle Input beschränkt sich auf Keynote-Speaker bzw. Fachreferenten und was man zufällig im Pausengespräch mitnimmt. Auch wenn im Anschluss an einen Vortrag die Möglichkeit zu Rückfragen eingeräumt wird, kommt in der Summe mitunter nicht mehr Wissen “rüber”, als später in der Tagungsdokumentation und den Foliensätzen publiziert wird. Zudem konzentrieren sich Rückfragen oder Erwiderungen sich auf wenige, bekannte Wort- und Meinungsführer.

So manche alternative Tagungsformate (z.B. Barcamps, Blended Conferencing) hatte ich auf verschiedenen Konferenz bislang als eher wenig nachhaltig erlebt, meistens verblieb es bei Einzelaktionen besonders methodenambitionierter Experimentalisten. Von daher war ich auf das angekündigte besondere Format der Jahrestagung der DGWF besonders gespannt: “Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erleben kurzweilige Themenimpulse, Fishbowl-Workshops und die Erträge-Schatzinsel. Außerdem können alle kräftig diskutieren, ausführlich im direkten Austausch oder kurz und knapp in 140 Zeichen per Twitter”.

Methode “Aquarium” bei der DGWF-Jahrestagung 2013 – diese und weitere Eindrücke unter: http://www.uni-rostock.de/weiterbildung/dgwf-jahrestagung-2013/impressionen-der-tagung/

Der DGWF-Vorstand verordnete seiner diesjährigen Konferenz eine konferenzdidaktische Radikalkur: Das Zeitlimit für die einzelnen Beiträge wurde auf maximal 10 Minuten begrenzt. Anschließend wurden die Referenten in das sogenannte “Aquarium” gebeten, eine Halbkreis aus fünf bis zehn Stühlen, wo sie sich den Fragen von interessierten Kolleginnen und Kollegen stellten. Sobald weitere Personen etwas beizutragen hatten oder neue Fragen einbringen wollten, taten sie das nicht wie gewohnt aus der Masse des Publikums heraus, sondern wechselten auf einen freien Platz im “Aquarium”. Es entwickelte sich über die gesamte Konferenz hindurch eine interessante Gesprächsdynamik und Diskussionskultur: Präsentatoren waren gezwungen, ihren Input schnell zur Sache zu bringen. Wenn auch nicht im Übermaß, aber dennoch deutlich folgten Rückfragen “auf Augenhöhe” und es entzündeten sich auch durchaus brisante Dialoge, die im konventionellen Setting (vermutlich) in ausgeblieben wären. Die Fotoimpressionen der Tagungs-Website verraten etwas von der Atmosphäre.

Gewiss bieten auch die freien Zeiten und das Rahmenprogramm von Konferenzen Raum für informellen Austausch in persönlichen Gesprächen. Der didaktische Wert – und damit auch der Mehrwert und Nutzen für die Teilnehmer – in der zelebrierten Form von Rostock garantierte diese Interaktivität jedoch dem gesamten Plenum. Die Veranstalter hatten hierfür aufgeboten, was an Medien und technischer Unterstützung hilfreich sein konnte: Moderationswände, Funkmikrofone, Moderatoren und Visualisierer. Damit war eine gewisse methodische Sicherheit geschaffen, die in den klassischen Raumarchitekturen einer Universität – überwiegend große Hörsäle mit fest installierter (Kino-)Bestuhlung – gut getan hat. Denn um auf den wenigen freien Quadratmetern einen Stuhlkreis zu positionieren, mussten die Akteure schon kreativ und flexibel sein.

Die Beobachter-Rolle ist dem Fachexperten und vor allem Hochschulforscher ja durchaus bekannt und eigen. Umso spannender war das Experiment der DGWF, wie ihre Konferenzteilnehmer auch in die Akteur-Rolle bewegen konnte.  Als Konferenzmethode kann diese Aktionsform – so mein Resümmee – durchaus wirkungsvoll eingesetzt werden. Die häufiger wechselnden Gesprächspersonen schaffen hohe Aufmerksamkeit, was auch den eher passiven Zuhörer psychisch und physisch herausfordert. Die Zeiten für ein “Nickerchen” bei weniger interessierenden Monologen sind definitiv weniger :)

Allerdings gilt es den offeneren Rahmen (sehr viele Teilnehmer, die sich nicht alle persönlich kennen, große Themenbreite) zu berücksichtigen:

  • Vor allem die Präsentatoren müssen im Vorfeld gut instruiert werden und sollten ihre eingesetzen Medien auf das besondere Setting hin anpassen und prüfen. Es eignen sich weder Moderationskarten auf Pinnwänden (zu klein im großen Raum), noch ausführliche Powerpoint-Folien (zu zeitintensiv).
  • Im “Aquarium” sollten sich maximal 5 Personen befinden. Es will schließlich jeder bzw. jede sich möglichst mehrfach einbringen können und echte Kontroversen führen können. Ansonsten wird Aquarium dann wieder schnell zur einer klassischen Expertenbefragung oder Podiumsdiskussion.
“Aquarium” als Konferenzmethode im Hörsaal - Jahrestagung der DGWF 2013 an der Universität Rostock
“Aquarium” als Konferenzmethode im Hörsaal – Jahrestagung der DGWF 2013 an der Universität Rostock

Die Aktionsform “Aquarium” ist im Seminaralltag (wenn auch nicht allzu häufig im Einsatz) weitläufiger bekannt. Hierbei agieren zunächst ausgewählte Teilnehmer in der Mitte des Plenums (Übung, Experiment, Rollenspiel o.ä.) und werden dabei von den übrigen Teilnehmenden von außen beobachtet (und bisweilen auch bewertet). Ein Wechsel von außen nach innen und umgekehrt wird entweder vom Seminarleiter angestoßen oder erfolgt durch die Akteure selbst. Das wechselseitige Erleben als Akteur und Beobachter schafft unterschiedliche Zugänge zum Lerngegenstand. In methoden-kartothek.de haben wir die Aktionsform ausführlicher beschrieben.

Die Organisatoren der nächsten DGWF-Jahrestagung 2014 in Hamburg haben bereits angekündigt, das Konferenzformat “Aquarium” wieder aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Ich bin gespannt!


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