Aktionsform
Rollenspiel
TN tun so, als ob sie jemand anderes wären. Diese Simulation erfolgt spontan und ohne Probe. Die gespielten (Inter-)Aktionen können real oder fiktiv, können vergangen, gegenwärtig oder zukünftig sein.
1. Einsatzmöglichkeiten
- um (zwischen-)menschliches Denken, Fühlen und Handeln zu erleben und zu verstehen
- zum Einüben von Empathie, Rollenübernahme und Ambiguitätstoleranz (= Aushalten von Widersprüchen und Frustrationen)
- um kommunikative Fertigkeiten zu trainieren
- um Ideen und Haltungen zu entwickeln
- um Haltungen/Fertigkeiten zu bewirken oder zu ändern
- als indirekte Artikulation im Schutz der Rolle
2. So wird’s gemacht
Die folgenden Hinweise gelten für alle Varianten des Rollenspiels. Besonderheiten finden Sie unter „Didaktisch-methodische Hinweise“.
- Entscheiden Sie sich für eine Spielform, einen Grad von Spielintensität und -beschränkung (s. „Didaktisch-methodische Hinweise“).
- Aktivieren Sie evtl. in einer Erwärmungsphase die Gruppe (Bewegung/Tanz) (Broich 2005b). Wecken und fördern Sie ihre Spielbereitschaft. Das kann durch körperliche oder verbale Interaktionsübungen und -spiele u.a. geschehen (Broich 2005a).
- Stellen Sie die Vorgaben des Rollenspiels (s. „Spielbeschränkung“ an Hand eines Kurzreferates (Vortrag), eines Textes (Texte lesen), eines Bildes (Bildbetrachtung), eines Filmes (Film/Video zeigen), einer Hörszene oder eines darstellenden Spiels (Theaterspiel) dar. Verteilen Sie „Rollenkärtchen“ mit Instruktionen zur Rolle. Sie können diese auch von den TN (in Gruppen) erarbeiten lassen (s. Gruppenarbeit 3: Arbeitsauftrag). Je vertrauter und selbstverständlicher die zu spielende Situation, desto weniger differenzierte Vorgaben sind nötig.
- Bei Bedarf lassen Sie den TN Zeit, sich mit den Vorgaben vertraut zu machen. Gegebenenfalls kann das Rollenspiel, vorher kurz und einmalig geprobt, schon zwischen Improvisation und Inszenierung stehen.
- Mischen Sie sich nicht in das Spiel ein, wenn es einmal läuft.
- Brechen Sie das Spiel frühzeitig, möglichst auf dem Höhepunkt ab. Ein Ausspielenlassen nimmt der nachträglichen Auswertung den Schwung. Sie können den Spielern etwa drei Minuten vor Schluss ein Zeichen geben, dass die Zeit zu Ende geht.
- Fordern Sie die Spieler auf, im Plenum zu berichten, was ihre Figur im Verlauf des Spiels gedacht und gefühlt hat und wie sie mit ihr zurechtgekommen sind.
- Schließen Sie je nach Bedarf weitere, das Thema erweiternde (Komplexität) bzw. vertiefende (Intensität) Rollenspiele an.
3. Didaktisch-methodische Hinweise
Spielform: Aufführung oder Erlebnis?
Es gibt zwei Formen des Rollenspiels:
- Beim Rollenspiel im Aufführungsmodus (Single-Role-Play) ist ein Teil der TN Zuschauer. Sie beobachten die Vorführung offen oder anhand vorgegebener Kriterien (Beobachtungsinstruktionen) und teilen nach dem Spiel ihre Eindrücke mit (Feedback). Diese Rollenspielform ist die allseits bekannte. In der Variante des Video-Training zeichnen Sie das Rollenspiel sogar auf. Die Video-Aufnahme kann so subjektive Eindrücke „objektivieren“ und einen komplexen Vorgang analysieren helfen. Instruktionen: Sie können die Spielvorgaben entweder an alle Spieler und Zuschauer geben, nur an die Spieler oder verschiedene Vorgaben in unterschiedlichem Ausmaß an verschiedene Spieler.
- Das Rollenspiel im Erlebnismodus (Multiple-Role-Play) ist noch relativ unbekannt. Es kommt ohne Zuschauer aus und bietet den Spielern – und nicht wie im Aufführungsmodus den Zuschauern – die entscheidenden Erfahrungsmöglichkeiten. Die Spieler agieren für sich, nicht für andere. So können Sie evtl. die Scheu vor „Veröffentlichung“ herabsetzen, mit mehr TN spielerisch arbeiten und Vergleiche ermöglichen. Es gibt hier wiederum zwei Varianten: Sie unterteilen das Plenum in Paare oder in Kleingruppen mit gleicher TN-Zahl. Die Größe richtet sich nach der Anzahl der erforderlichen Rollen. Diese Paare oder Kleingruppen spielen im selben Raum und zur selben Zeit dasselbe. Im zweiten Fall agiert das ganze Plenum. Jeder kann eine individuelle Rolle haben. Es können aber auch alle ein und denselben Typ spielen (z.B. einen Fußballfan). Im Plenum kann sich auch der SL am Spiel beteiligen und innerhalb der Szene eine besondere Rolle übernehmen (Teacher-in-Role), durch die er intern aus dem Spiel heraus das Geschehen unauffällig und effektiv in die von ihm gewünschte Richtung lenken kann (z.B. Rolle: Sozialarbeiter).
Spielintensität: Charakter oder Klischee?
Im Rollenspiel gibt es unterschiedliche Rollentypen. Sie erfordern unterschiedliche Grade an Einfühlung und Identifikation. Wir listen diese Anforderungen im Folgenden in abnehmender Intensität auf:
- Charakter (Mensch mit komplexen, widersprüchlichen Eigenschaften),
- Figur (Charakter mit wenigen und klaren Eigenschaften),
- Typ (nicht mehr individuelle Figur),
- Klischee (überzeichneter Typ),
- der Spieler selbst in einer fremden Situation.
Charaktere sollten Sie dem Theater vorbehalten (
Theaterspiel), Figuren und Typen häufig, Klischee dagegen nur selten einsetzen. Sich selbst zu spielen ist im Erlebnismodus die erste Wahl.
Spielbeschränkung: geschlossen oder offen?
Unabhängig von der Form besteht jedes Rollenspiel aus vier Elementen:
- dem Thema bzw. Konflikt,
- den Rollen nebst der Situation,
- dem Spielausgang,
- dem Spielverlauf.
Wie ein Rollenspiel verläuft, bleibt immer offen. Alles andere können Sie vorgeben. Im
geschlossenen Rollenspiel sind der Konflikt, die Rollen und der Spielausgang vorbestimmt, im
halboffenen der Konflikt und die Rollen und im
offenen nur der Konflikt. Überlegen Sie, ob es um die Entwicklung oder um die Lösung eines Konflikts geht, d.h., ob die problematische Situation am Ende oder am Anfang des Rollenspiels stehen soll. Sie müssen noch eine Entscheidung treffen: Die soziologische Rollentheorie unterscheidet zwischen „Role-Taking“ (eine klar definierte Rolle übernehmen und ausfüllen) und „Role-Making“ (eine grob umrissene Rolle innerhalb des gegebenen Spielraums gestalten).
- Das geschlossene Rollenspiel aktiviert die Möglichkeit des „Role-Taking“ und empfiehlt sich bei TN, die nicht so gut improvisieren können und vielleicht Angst vor dem Spielen haben. In diesem Fall ist es evtl. hilfreich, nicht so sehr individuelle Charaktere als Rollen vorzugeben, sondern vielmehr Typen bis hin zu Klischees. Ist die zu spielende Situation fremd und/oder soll die Identifikation mit den Rollen eine gewisse Tiefe erreichen, lassen Sie Situation und Rollen vor dem Spiel in Einzelarbeit, Partnerarbeit oder Gruppenarbeit entwerfen (10 bis 45 Min.). Überzeugen Sie sich gegebenenfalls, ob die Rollen auch verstanden worden sind. Obwohl das geschlossene Rollenspiel von allen Varianten des Rollenspiels noch am wenigsten Voraussetzungen erfordert, muss dennoch ein gewisses Maß an Spielfähigkeit und -bereitschaft, an Vertrautheit der Gruppe und gelockerte Atmosphäre gegeben sein.
- Im halboffenen Rollenspiel ist die Fähigkeit des „Role-Making“ gefordert. Vereinfachend und auch enthemmend ist es, nicht so sehr individuelle Figurenrollen vorzugeben, sondern vielmehr Typen bis hin zu Klischees.
- Das offene Rollenspiel geht noch einen Schritt weiter, indem es die im Alltag selten erforderliche Fähigkeit des „Role-Creating“ (eine Rolle schaffen) aktiviert. Das offene Rollenspiel stellt an die Spielfähigkeit und -bereitschaft der TN, deren Vertrautheit in der Gruppe und Ihre Leitungskunst als SL höchste Anforderungen.
4. Vorteile/Chancen – Nachteile/Probleme
Vorteile/Chancen:
- konkret und anschaulich, lebendig und aktiv
- evtl. kathartische Effekte (= innere Spannungen lösend)
- evtl. spannend und im besten Sinne unterhaltsam
Nachteile/Probleme:
- hohe Anforderung an TN und SL
- evtl. bloße Problemspiegelung und sogar -verfestigung
Literaturhinweise: Broich 1994, 2005a, 2005b; Meyer 2007; Neumann/Heß 2007; Knoll 2007; Schaller 2006; Van Ments/Peterssen 1997; Volk-von Bialy 2010
Dr. Balkes rät: „Das Rollenspiel ist eine Gratwanderung. Es lauern zwei Gefahren, vor denen ich Sie warnen möchte: Auf der einen Seite wird das Rollenspiel als Lerntechnik didaktisch verzweckt und damit zum ‚Spielverderber’. Auf der anderen Seite wird das Rollenspiel zum theatralischen Selbstläufer und zur reinen Unterhaltungsshow. Vermeiden Sie die Fehler des so genannten ‚Sozialen Rollenspiels’ der 70er Jahre. Das Soziale Rollenspiel hatte überhöhte Ansprüche: Es hielt die Spieler schon für improvisationsgeübte Schauspieler, wollte nur soziale Realität (statt auch fiktive Welten) abbilden, betonte einseitig die Wortsprache (statt auch die Körpersprache zu beachten), dachte nur an realitätsnahe (statt illusionäre) Spielweisen und vernachlässigte ästhetische Kategorien. Ein Hinweis zuletzt: Für Rollenspiele benötigen Sie mehr Kompetenz und Erfahrung als für viele andere Aktionsformen.“
Autor: Ulrich Papenkort