Online-Sättigung

von online zu offline
Bild: Luisella Planeta Leoni auf Pixabay

Bis zur Corona-Pandemie waren viele Trainerinnen, Dozenten, Coaches überwiegend “in Präsenz” unterweg. Dann kamen Kontaktsperre und Social Distancing, Akademien und anderen Bildungseinrichtungen mussten schließen. Nahezu alle Akteure stürzten sich auf das „Lernen mit digitalen Medien“: Bislang gewohnte Präsenz-Konzepte wurden in Windeseile in Online-Formate überführt. Die Weiterbildungsszene wurde digital, “E-Learning” galt als der Krisengewinner der Zeit (vgl. Zeitschrift wirtschaft&weiterbildung, Ausgabe 5/2020). Selbst diejenigen, die bislang auf persönliche Atmsophäre und unmittelbare Begegnung geschworen hatten, veranlasste der schlichte Zwang zur Aufrechterhaltung des eigenen Betriebs dazu die eigenen Bildungsangebote zu digitalisieren.

Anders als noch vor wenigen Jahren ist heute für das Erstellen von einfachen Lehrvideos keine kostspielige Produktionssoftware mehr notwendig; das gängige heimische Medien-Equipment (Laptop, Tablet, Mobiltelefon) genügt, um erste Lehrvideos zu erstellen oder vorhandene Präsentationen mit einer Tonspur zu erweitern. Auch die Vorgehensweise in verschiedenen Videokonferenz-Systemen, das Handling von virtuellen Pinnwänden, der Einsatz von Lernplattform-Systemen gelingt vielfach bereits intuitiv. Corona entpuppt sich als Innovationsmotor für die Bildungsbranche: Wer heute in die Programme von Bildungsanbietern blickt, findet dort eine große Bandbreite an webgestützten Seminaren, Online-Workshops, Internet-Konferenzen, virtuelles Coaching und Mentoring und noch diverse andere digitale Formate.

Online-Lernen fügt sich scheinbar geräuschlos ein in den Online-Modus des Arbeitsalltags. Das digitale Seminar nahm Platz zwischen den Videokonferenzen der Projektteams und den selbst eingerichteten Online-Kanälen für die Feierabendrunde mit den Kolleginnen und Kollegen, mit denen man sonst am Rauchereck oder in der Kantine die Neuigkeiten ausgetauscht hat. Dort, wo Weiterbildung der Zweckerfüllung in Organisationen dient oder wo sie mit Arbeitsprozessen verbunden ist, erfolgte der Sprung auf digitale Formate im Zusammenspiel mit der digitalen Transformation der Arbeitswelten. Die ersten Erfolgsmeldungen deuten darauf hin, dass Online-Formate in der Weiterbildung weitaus mehr gelingen können, als bislang angenommen. Neue Präsentationsformen und die stärkere Flexibilität von Zeit und Ort machen innovative Formate möglich.

Inwieweit die gesteckten Weiterbildungsziele erreicht werden können, welche Fertigkeiten und Kompetenzen tatsächlich über Online-Trainings erworben werden, bleibt allerdings offen. Die breite empirische Evidenz fehlt bislang. Manche Themen benötigen zwingend die Präsenzsituation (z.B. in der praktischen Anleitung) und nicht jede Zielgruppe bringt die Medienausstattung und Internetbandbreiten, die Selbstlern-Disziplin und Begeisterung für Online-Lernen mit. Im Hochschulbereich macht sich gegenwärtig das Schlagwort vom “emergency remote teaching” breit (vgl. Blog-Beitrag von Gabi Reinmann), der plötzliche Schwenk auf die Onlineformate wird als bestmöglicher Notgriff gewertet, der von den Beteiligten derzeit so hingenommen wird. Es bleibt abzuwarten, welche Medien, Methoden und Konzepte sich auch “nach Corona” etablieren werden.

Die Durchdringung von Online-Methoden beschränkt sich nicht auf den Arbeitsplatz und das Weiterbildungsseminar. Sobald die letzte Arbeitsrunde (immer öfter im Home-Office) beendet ist, erinnert abermals der Computer an die nächste Video-Schalte zum “Abschalten” und “Auf-andere-Gedanken-Kommen”: Bei der Online-Chorprobe agiert die Dirigentin via Bildschirm zu den Sängerinnen und Sängern zu Hause, nach dem gleichen Prinzip folgt das wöchentliche Training der Gymnastik-Gruppe unter Online-Anleitung des Sport-Trainers. Die lokale Kirchengemeinde lädt ein zum live gestreamten Gottesdienst, das jährliche Stadtfest wird in Form von Online-Kulturaktionen durchgeführt und die Lieblingsband wirbt für ihr Wohnzimmerkonzert im Internet-TV. Nicht zu vergessen, der wöchentliche Video-Call zwischen Oma und den Enkelkindern, sowie last but not least das Liken, Kommentieren der jüngsten Beiträge aus den Familien- und Freundeskreisen in diversen Social-Media-Kanälen.

Geht noch mehr online? Oder ist nicht spätestens jetzt eine Online-Sättigung eingetreten? Die Innovationsfreude und Begeisterung für die Online-Formate verdrängt das Moment, dass sich für die einzelnen Lernenden eine mediale Monokultur entwickelt hat, deren negativen Begleiteffekte derzeit nur abgeschätzt werden können (vgl. hier Studien zu wahrnehmungs- und lernpsychologischen Zusammenhängen beim Videokonferieren). Die ersten Konsequenzen aus den Rückmeldungen meiner Seminarteilnehmerinnen und Seminarteilnehmer: Häufigere und längere Pausen zum Regenerieren, begrenzte Online-Zeiten pro Tag, Schutzzeiten für eigene soziale Kontakte (z.B. keine Online-Session am späten Abend oder sonntags), gezielter Rückgriff auf Offline-Medien (z.B. Arbeitsbücher, Lernbriefe).

Ob all das Digitale auch die soziale Qualität bietet, die wir in unseren Gemeinschaften, in der kulturellen Teilhabe und eben auch in Begegnung beim Lehren und Lernen suchen, bleibt offen. Wenn Online-Angebote in der Weiterbildung sich nachhaltig etablieren sollen, müssen Online-Methoden konzeptionell weiterentwickelt werden, insbesondere jenseits der Interaktion mit (bestenfalls) 0,15 Quadratmeter Bildschirmfläche. Online-Weiterbildung muss kompatibel werden zur Offline-Lebenswelt der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.


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