Aktionsform
Tagebuch schreiben
Die TN notieren, malen oder kleben persönliche Ergebnisse und Erlebnisse der Veranstaltung in eine Art Buch oder auf gebundene Blätter. Das Dokument bleibt privat und vertraulich. Nur in der Variante Weblog wird eine Teilöffentlichkeit hergestellt.
1. Einsatzmöglichkeiten
- um die subjektive Seite eines Themas vorzubereiten oder zu erarbeiten: Die TN können zunächst für sich in Einzelarbeit klären, was sie in späteren Gesprächen austauschen möchten (Leitfragen: „Was möchte ich davon wirklich erzählen?“, „Was möchte ich unbedingt oder vorerst für mich behalten?“)
- um Erlebnisse in Erkenntnisse zu verwandeln: Die TN können das Tagebuch als Reflexionshilfe nutzen z.B. nach selbsterfahrungsorientierten Übungen (Geleitete Fantasie) (Leitfrage: „Was war für mich persönlich wichtig?“)
- zur Auswertung im „Kurslogbuch“: Die TN können die täglichen, persönlichen Erlebnisse und Veränderungen über einen längeren Kurszeitraum verfolgen (z.B. Einträge als tägliches Ritual) (Anregungen s. weiter unten)
- als „Andenken“: In das Tagebuch können persönliche Kursmaterialien (z.B. Steckbrief) oder Fotos aus dem Seminar/Kurs eingeklebt werden (Symbolisieren). Der Kurs kann so zu einer besonders intensiven Erinnerung werden (das Tagebuch als „Album“)
2. So wird’s gemacht
- Stellen Sie die Idee vor und besprechen Sie mögliche Vorbehalte (z.B. TN haben häufig Sorge, das Tagebuch könnte jemandem in die Hände fallen; Tagebücher deshalb sorgfältig aufbewahren).
- Erläutern Sie die Art der Eintragung: Sie können diese offen lassen oder die Verarbeitung durch Fragen fokussieren (Fragen, Graffiti).
- Geben Sie immer wieder Zeit im Laufe Ihres Kurses, damit die TN ihre Eintragungen machen können (z.B. als tägliches Abschlussritual Ritual). Gerade bei Aktionsformen und Themen, die in die Tiefe führen, sollten Sie vor Gesprächen diesen Schritt einbauen.
Variante 1: Tagesbilanz
Beispiel: Tagesauswertung durch Satzergänzung (Geißler 2005b)
1. Mir war heute sehr hilfreich, dass
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2. Es wäre heute wichtig gewesen, wenn
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3. Ich empfand Langeweile, als
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4. Für mich war besonders interessant, dass
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5. Ich fühlte mich abgehängt, weil
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6. Ich war froh, dass
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Variante 2: Tagebuch als „Bildkalender“
An jedem Kurstag malen die TN jeweils ein Bild zum wichtigsten Erlebnis des Tages in ein Segment eines Blattes (
Bild malen).
Variante 3: Tagebuch als „Lerntagebuch“
Das Lerntagebuch bietet sich vor allem bei Seminarreihen an, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Es wird im Seminar eingeführt und begleitet, gleichzeitig kann es im Sinne des selbstorganisierten Lernens als zentrales Medium dienen, um z.B. konkrete Situationen im Arbeitsalltag aufzuführen, zu verarbeiten und ggf. im Seminar im Rahmen einer
Fallbesprechung durchzuführen. Des Weiteren kann das Lerntagebuch u.a. Teilnehmer- und Dozentenlisten, grundlegende Informationen zur Gesamtorganisation und Terminplanung enthalten. In diesem Sinne stellt das Lerntagebuch einen wichtigen Lernbegleiter dar.
Variante 4: Tagebuch als Weblog (Blog)
Über eine Online-Plattform (
E-Learning) kann das Tagebuch in Form eines Weblogs (Blog) geführt werden. Damit eröffnen sich weitere Einsatzmöglichkeiten: Das Tagebuch kann gemeinschaftlich entwickelt werden; TN, SL und ggf. andere Personen können Einträge kommentieren, multimediale Elemente (
Fotos machen,
Video drehen) veranschaulichen die Inhalte bzw. verschaffen einen besonderen emotionalen Zugang.
Ein Weblog ist vor allem dann wirkungsvoll, wenn er über eine längere Seminarreihe die Ereignisse aus der Perspektive der TN chronologisch dokumentiert. Es ist hier besonders wichtig, dass Sie als SL vorab verdeutlichen, in welcher Form und mit welchem didaktischen Zweck der Blog verwendet werden soll. Manche TN haben Vorbehalte gegenüber dem Medium. Nehmen Sie diese Vorbehalte ernst, sorgen Sie für Transparenz, insbesondere hinsichtlich der Privatheit bzw. Öffentlichkeit. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran, indem Sie z.B. selbst regelmäßig Einträge schreiben.
Der Weblog kann auf einer Onlineplattform eingerichtet und mit unterschiedlichen Zugriffsrechten versehen werden. So sind die verschiedenen Szenarien mit unterschiedlichen Graden an Privatheit bzw. Öffentlichkeit verbunden:
- geschützt: Nur der oder die Schreiber haben Einblick.
- teilöffentlich: Eine oder mehrere Teil-Gruppen schreiben, der restliche Kurs liest mit und kann ggf. kommentieren. Weiterhin kann der Weblog auch für z.B. externe Experten oder Partner geöffnet werden
- öffentlich: Schließlich kann der Blog offen im Netz stehen und so auch einer weiteren, ggf. sehr breiten Öffentlichkeit, zugänglich sein.
3. Didaktisch-methodische Hinweise
Das private Schreiben in Seminaren hat zwei große Vorzüge:
- Schreiben unterstützt die Reflexion. Der TN kommt schreibend sozusagen in Dialog mit sich selbst. Das Tagebuch hilft sich frei zu schreiben und zu ordnen, indem wir unser Erleben mit all den persönlichen Widersprüchlichkeiten bewusst machen und „den Zickzack unserer jeweiligen Gedanken bezeugen“ (Max Frisch). Einen Zustand benennen, ist der erste Schritt zur Veränderung. Gerade an dieser Stelle kann das Tagebuch eine besondere Konzentration schaffen z.B. Was war wirklich wichtig für mich bei dieser Veranstaltung?
- Das Tagebuch schützt. Gerade in selbsterfahrungsorientierten Seminaren setzen TN manchmal sich und andere unter den Druck der “Selbstoffenbarung“. Gefahr: „Seelen-Striptease“ oder formelhafte Selbstbekenntnisse. Die TN sollen immer kontrollieren können, was sie preisgeben wollen. Das Tagebuch ist eine gute Hilfe, zunächst einen klaren Kopf zu bekommen und dann auszuwählen, über was ich sprechen möchte. Unsere Erfahrung: Gerade wenn Sie den TN die Sicherheit der Privatsphäre garantieren, wagen sie, sich stärker zu öffnen.
4. Vorteile/Chancen – Nachteile/Probleme
Vorteile/Chancen:
- Schutz und Kontrolle für die TN
- Vorerfahrungen/Beobachtungen werden aktiviert und geordnet
Literaturhinweise: Alsheimer/Müller 2000; Baldwin 1992; Geißler 2005b; Müller 2004
Dr. Balkes rät: „Heinrich von Kleist bringt den Wert des Tagebuch-Schreibens auf den Punkt: ‚Wir werden uns in diesem unruhigen Leben so selten unsrer bewusst – die Gedanken und die Empfindungen verhallen wie ein Flötenton im Orkane – so manche Erfahrung geht ungenutzt verloren – das alles kann ein Tagebuch verhüten.’“
Autoren: Martin Alsheimer, Michaela Gerds