Jazz-Didaktik

After Youve GoneVor Kurzem schrieb ich über meine (gelegentliche) Praxis, für Seminare nur einen “Improvisations-Rahmen” zu planen.

“Na ja”, könnte man sagen, “das ist halt ‘Unterrichten nach Schema F’”. Aber das meine ich nicht, wenn ich vom “Improvisations-Rahmen” spreche. Ich will damit bewusst auf den Kitzel anspielen, den man beim Improvisieren im Jazz und in anderen Künsten erleben kann. Didaktik ist für mich eine Kunst, die sehr viel mit kreativer Freiheit, mit Spielen und Spontaneität zu tun hat.

Mein Improvisations-Rahmen bietet mir die nötige Sicherheit, damit ich jedem Fall eine ordentliche Veranstaltung hin bekomme, in der meine TeilnehmerInnen etwas lernen. Aber er lässt mir auf der anderen Seite genügend Freiheit und bietet genügend Risiko, dass es doch schief gehen könnte, um mich zu vollem Einsatz anzuspornen und meine volle Präsenz zu ermöglichen. Adrenalin ist eine köstliche Droge!

Ich spule also das grob geplante Programm nicht einfach ab, sondern warte auf eine Gelegenheit, zu improvisieren. Das kann eine interessante Frage einer Teilnehmerin sein, ein spontaner Einfall meinerseits oder auch ein unvorhergesehener Umstand (z.B. Ausfall des Beamers). Und jetzt wird es spannend! Denn jetzt weiche ich von meinem Plan ab und beginne zu improvisieren.

Für dieses Improvisieren kann ich keine Anleitung geben und weiß auch nicht genau, wie man es lernen kann. Ich vermute, dass sich durch das vielfache “Durchspielen” möglicher Verläufe bei der Veranstaltungsplanung, durch das Durchdenken von Varianten, im Lauf der Zeit ein gewisses Repertoire an Handlungs- und Kombinationsmöglichkeiten aufbaut, die sehr schnell abgerufen und neu kombiniert werden können. Oft genug erfinde ich auf diesem Weg auch spontan neue Aktionsformen, die dann in das Repertoire eingehen. (Leider vergesse ich zu häufig, das dann rechtzeitig zu notieren…).

Improvisieren ist nicht nur eine feine Sache, wenn man wenig Zeit für die Vorbereitung hat, sondern lässt sich auch in gut durch geplanten Veranstaltungen einsetzen. Ich versuche, im Plan für einen Seminartag nach Möglichkeit ca. 20-25% Freiraum zu lassen, um spontan reagieren zu können. Für diese Zeit habe ich mindestens  ein Thema und auch eine grobe Struktur, von der ich aber nach Bedarf abweichen kann. Häufig steht auch ein “Dummy-Thema” auf der Agenda, das mir die Möglichkeit für Improvisation gibt (z.B. offene Fragen).

Ein Beispiel:

In einer Train-the-Trainer-Veranstaltung hat es sich einmal – ungeplant – so ergeben, dass eine ganze Reihe von Teilnehmenden aus dem technischen Bereich kam. Im Verlauf des Seminars zeigte sich, dass mehrere von Ihnen ein gemeinsames Anliegen hatten, dass sich auf eine Frage fokussieren ließ: “Wie kann man methodisch vorgehen, wenn bestimmte Inhalte, z.B. Fragen der Arbeitssicherheit bei der Bedienung von Geräten, absolut zuverlässig vermittelt werden müssen?”

Im Seminar befand sich auch ein Trainer, der Berufsfeuerwehrleute ausbildet.  Das war eine Steilvorlage! Mein Seminarplan bot mir genügend Raum, dieses Thema aufzugreifen. In einer Pause fragte ich den Feuerwehr-Trainer, ob er bereit wäre, für eine gewisse Zeit als Experte in eine Co-Trainer-Rolle zu springen. Der spontan entwickelte Plan für die folgenden 90 Minuten sah dann so aus:

  1. Ein offene Frage-Antwort-Runde: die Teilnehmenden fragten, der Feuerwehr-Trainer antwortete; ich moderierte und visualisierte simultan mit (=> A Experten-Befragung).
  2. Im => A Aquarium führten wir anschließend eine kollegiale Fallberatung durch: eine Teilnehmerin stellte uns ihre Herausforderung aus der Praxis vor, gemeinsam berieten wir vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Expertenbefragung, wie sie hier vorgehen könnte. Auch das habe ich visualisiert.
  3. Jeder Teilnehmende hielt noch einmal für sich fest, welche 3 Aspekte aus dieser Einheit für ihn besonders wichtig waren.

Dieser spontane Exkurs gelang perfekt und war eines der Highlights des Trainings. Aus den Feedbacks nahm ich mit, dass dabei nicht nur viel über das Training sicherheitsrelevanter Inhalte gelernt wurde, sondern auch über Teilnehmerorientierung und die wertschätzenden Nutzung von Teilnehmer-Expertise.

… sollte ich vielleicht öfter gleich auf’s Improvisieren setzen?


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